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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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gegessen, aber mein Vater fuhr, und das bedeutete, dass er entschied. Nachdem wir im Restaurant seiner Wahl angekommen waren, schob er seine Brille nach vorn, um das Brett mit der Speisekarte zu studieren. «Was können Sie mir über Ihre entbeinte Pick O’ The Chix- Kombinationsplatte sagen?», fragte er das Tresenmädchen, einen Cherokee-Backfsch, der einen holzapfelfarbenen Synthetik-Pullover trug.
    «Nun, Sir, zu sagen gibt es da nicht viel, außer dass das Hühnchen keine Knochen hat und zusammen mit Pommes und zwei Litern Thirsty Man -Mineralwasser serviert wird.»
    Mein Vater rief, als hätte ihre dunkle Hautfarbe irgendwie ihr Gehör in Mitleidenschaft gezogen: «Aber das Hühnchen als solches, was geschieht damit?»
    «Ich tu es auf ein Tablett», sagte das Mädchen.
    «Aha, verstehe», sagte mein Vater. «Das erklärt alles. Mannomann, Sie sind ja wohl eine ganz Schlaue, was? Mit einem IQ, der mit herkömmlichen Mitteln gar nicht mehr zu erfassen ist, was? Soso, auf ein Tablett tun Sie es. Das bedeutet ja wohl, dass es das Huhn nicht aus eigener Kraft aufs Tablett schafft, und das sagt mir, dass es wahrscheinlich vorher irgendwie geschlachtet worden sein muss. Gehe ich richtig in dieser Annahme? Na, das bringt uns doch schon ein kleines Stückchen weiter.» So ging es weiter, bis das Mädchen in Tränen aufgelöst war und wir unverrichteter Dinge zum Auto zurückkehrten, wobei mein Vater maulte: «Herrgott, habt ihr das gehört? Wahrscheinlich könnte sie einem alles erzählen, was man wissen muss, um ein Opossum in der Falle zu fangen, aber sobald es um Hühnchen geht, ‹tut sie’s auf ein Tablett›.»
    Unter normalen Umständen hätte meine Mutter Überstunden gemacht, um Kellnerin oder Buffetfräulein in Schutz zu nehmen, aber heute Abend war sie einfach zu müde. Sie wollte irgendwohin, wo Drinks serviert wurden. «Gehn wir doch zu dem Italiener da.»
    Mein Bruder und ich unterstützten sie, und kurze Zeit später saßen wir in einem trübe beleuchteten Restaurant, sodass mein Vater die Kellnerin anschnauzen konnte: « Blutig; wissen Sie, was das heißt? Das heißt, dass ich mein Steak in der Farbe Ihres Zahnfleischs haben will.»
    «Och, Lou, nun mach mal Pause.» Meine Mutter schenkte sich Wein ein und steckte sich eine Zigarette an.
    «Was machst du da?» Sogleich ließ er seiner Frage eine Antwort folgen. «Du bringst dich um, bringst du dich.» Meine Mutter hob grüßend ihr Glas. «Da hast du ausnahmsweise mal recht, Baby.»
    «Das ist doch nicht zu glauben. Genauso gut könntest du dir eine Pistole an die Schläfe setzen. Nein, das nehme ich zurück. Das Gehirn kannst du dir ja gar nicht aus dem Schädel pusten, weil du nämlich gar keins hast.»
    «Das hättest du wissen sollen, als du um meine Hand angehalten hast», sagte sie. «Sharon, du hast doch keinen Schimmer.» Er schüttelte angewidert den Kopf. «Du machst das Maul auf und die Kacke kullert einfach so raus.»
    Meine Mutter hörte schon seit vielen Jahren nicht mehr zu, aber es war fast ein Trost, dass mein Vater darauf bestand, den normalen Betrieb aufrechtzuerhalten, trotz allem. In ihm hatte sie jemanden gefunden, dessen Verhalten sich nie ändern würde. Er hatte gelobt, ihr das Leben zur Hölle zu machen, und keine Krankheiten oder Schicksalsschläge konnten ihn von diesem Vorhaben abbringen. Meine letzte Mahlzeit mit meinen Eltern würde nicht anders sein als die erste. Wären wir zu Hause gewesen, hätte meine Mutter ihn um sieben abgefüttert, bis zehn oder elf gewartet, und dann hätten wir uns Steaks gebraten. Bis dahin hätten wir mehrere Drinks verputzt, und wenn die Steaks zufällig verkokelt waren, schmiss sie sie dem Hund vor und fing noch mal von vorne an. Bevor ich nach New York zog, hatte ich zwei Monate in Raleigh verbracht und eins der Mietobjekte meines Vaters in Uninähe angestrichen. Während dieser Zeit hatten wir jeden Tag den gleichen Zeitplan. Manchmal aßen wir vor dem Fernseher und manchmal deckten wir den Tisch. Ich versuche mich an einen dieser Abende zu erinnern, will aus den Einzelheiten Trost ziehen, aber sie sind dahin. Selbst mein Tagebuch sagt mir nichts: «Steaks mit Mom.» Aber was für Steaks, Porterhouse oder New York Strip? Worüber haben wir gesprochen und warum habe ich nicht aufgepasst?
    Wir kehrten in unsere Autobahn-Raststätte zurück, meine Eltern begaben sich auf ihr Zimmer, und wir wanderten zu einem Friedhof ganz in der Nähe, der einst ein ideales Fleckchen Erde gewesen war,

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