Nackt
Kopf. Genauso reagierte er auf meine Mutter, wenn sie sich aus Zorn und Frustration vergaß. Lisa war jetzt keine Tochter mehr, sondern eins dieser Weiber, die ihre ständig wild wabernden Gefühle nicht unter Kontrolle kriegten.
«Lass sie», sagte er und wischte eine dünne Schicht Blütenpollen von der Windschutzscheibe. «Sie hat Damenprobleme.»
Unser Vater setzte seine Kampagne, uns für den Golfsport zu interessieren, noch jahrelang fort. Als Gretchen, Amy und Tiffany seine Avancen zurückwiesen, setzte er all seine Hoffnungen auf unseren Bruder Paul, der die ausgedehnten Greens ideal zum Einwerfen von LSD und zum Umschmeißen von Golfkarren fand, die er eigens zu diesem Zweck bei der Ausleihstelle neben dem Prof-Shop auslieh.
Unser Vater kaufte einen Fernseher mit Breitbild-Bildschirm, ein enormes Modell von der Größe einer in der Industrie verwendeten Waschmaschine, und den benutzt er nur, um seine geliebten Turniere zu sehen und aufzunehmen. Auf dem Fernseher stapeln sich Videokassetten mit Vermerken wie 94 PGA und 89 US OPEN – UNGLAUBLICH!!!!
Bevor unsere Mutter starb, stellte sie ein Video zusammen, von dem sie annahm, dass es Lisa vielleicht gefällt. Die beiden hatten viel Zeit miteinander in der Küche verbracht, Wein getrunken und sich auf dem alten tragbaren Schwarzweißfernseher, der neben dem Spülstein stand, alte Filme angesehen. Es waren nur ein paar ihrer Lieblingsfilme, «nix Dolles», wie meine Mutter sagte, «nur ein bisschen was zum Kucken, wenn dir mal langweilig ist.»
Ein paar Wochen nach der Beerdigung meiner Mutter suchte Lisa das Haus meiner Eltern nach dem Video ab und fand es in der Bar im Erdgeschoss neben dem Stuhl meines Vaters. Sie nahm die Kassette mit nach Hause, merkte aber, dass sie noch etwas Zeit brauchte, bevor sie sie ansehen konnte. Für Lisa würden diese Filme Zeiten ungetrübten Privatlebens wiedererstehen lassen, als nur sie und unsere Mutter auf Hockern kauerten und die Namen der Schauspieler herunterrasselten, sobald sie sich auf dem Bildschirm blicken ließen. Diese Erinnerungen waren ein Geschenk, das Lisa noch ein bisschen genießen wollte, bevor sie die Kassette einschob. Sie wartete, bis sich die erste Trauer etwas gelegt hatte, und dann setzte sie sich mit einem Tablett voller Snacks aufs Sofa, legte die Kassette ein und war entzückt, als sie sah, dass sie mit Frau ohne Gewissen anfing. Der Vorspann lief noch, als das Video plötzlich von Schwarzweiß auf Farbe umschaltete. Ein Mann war zu sehen, der auf seinen Hacken hockte und am Stiel eines Golfschlägers entlanglinste, als wäre er eine Flinte. Hinter ihm stand eine Zuschauermeute im Schatten hoher Kiefern, die Gesichter gebräunt und vor lauter Konzentration wie gebannt. «Greg Norman hat alle drei Fünfer unter Par gebogeyt», flüsterte der Kommentator. «Aber wenn er hier am fünfzehnten einen Eagle schlägt, könnte das die Fahrkarte zum Masters sein.»
Wahre Detektivgeschichten
M eine Mutter fand Detektive toll, egal, ob alt, blind oder von der Hüfte abwärts gelähmt –, sie kriegte nie genug von ihnen. Meine ältere Schwester teilte ihr Interesse. Das Anbeten von Detektiven wurde von ihnen gemeinsam praktiziert und sie tauschten Handlungsstränge aus wie andere Mütter und Töchter Rezepte oder Tipps für gepflegtes Aussehen. Die eine Fernsehserie hörte auf, und die andere fing an, wodurch unser Haus mit dem beständigen Getöse von Schusswaffen und quietschenden Reifen erfüllt war. Im Erdgeschoss schöpfte der fettleibige Detektiv am Bug des Lustdampfers des Drogenbarons Atem, während oben in der Küche sein ältlicher Kollege sich in Verfolgung des Serienmörders mit dem Kindergesicht über ein niedriges Mäuerchen schwang.
«Wie macht sich dein Fall?», rief meine Mutter während der Werbepausen.
Lisa formte die Hände zu einem Schalltrichter und schrie: «Pummelchen geht immer noch Hinweisen nach, aber ich wette, es ist der chinesische Typ mit der Augenklappe und dem Pferdeschwanz.»
Ihre Welt war eine Welt der offenkundig Verdächtigen. Sie wollen wissen, wer der Axtmörder war? Probieren Sie’s mit dem emotional gestörten Holzfäller, der beim Geräteschuppen des Opfers herumlungert. Wer hat die Bewährungshelferin entführt? Vielleicht ist es der dreißigjährige Zehntkläßler, der in seinem Turnbeutel ein blutgetränktes Seil verwahrt. Es war kein Wunder, dass diese Fälle so schnell gelöst wurden. Jedes Indiz wurde mit einem Anschwellen der Trompeten kursiv
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