Nackt
gesetzt, im Verhör knickten die Tatverdächtigen ein wie Zahnstocher und gestanden schneller, als man ein Ei weichkocht. «Sie wollen wissen, wer den Brand im Seniorenheim gelegt hat? Na schön, ICH war’s, sind Sie jetzt zufrieden? Genau, ICH. ICH war’s. I-HICH.»
Es ist leicht, einen Fall zu lösen, wenn keiner der Verdächtigen fähig ist, eine anständige Lüge aufzutischen. Durch das Fernsehen hat das Verbrechen seinen Biss verloren und der Detektiv verkam zum Zeitgeist-Männchen. Es schien, als könne jeder einen Mordfall lösen, solange er ein Telefon, ein paar Stunden Freizeit und eine Hausbar hatte. Meine Mutter hatte alle drei Ingredienzen im Übermaß zur Verfügung. Je mehr Verdächtige sie im Verlauf einer Saison überführte, desto zuversichtlicher wurde sie. Zusammen mit meiner Schwester kämmte sie die Lokalzeitung durch und stellte Spekulationen über jedes gemeldete Verbrechen an.
«Wir wissen, dass das Mädchen mit vorgehaltenem Messer im ersten Stock des Elternhauses festgehalten wurde», sagte Lisa und pochte sich mit einem Bleistift gegen die Stirn. «Demnach war die Person, die sie beraubt hat, höchstwahrscheinlich … nicht … auf einen Rollstuhl angewiesen.»
«Das ist, würde ich sagen, eine Vermutung, mit der man kaum schiefliegen kann», antwortete meine Mutter. «Und wo du gerade dabei bist, können wir auch noch Leute ausschließen, die an eine eiserne Lunge angeschlossen sind. Hör zu, Sherlock, du gehst völlig falsch an die Sache ran. Der Typ ist eingebrochen, hat sie mit dem Messer bedroht und ist mit dreihundert Dollar Bargeld abgehauen, stimmt’s?» «Und mit einem Radiowecker», sagte Lisa. «Mit dreihundert Dollar und einem Radiowecker.»
«Vergiss doch den Radiowecker», sagte meine Mutter. «Wichtig ist, dass er ein Messer benutzt hat. Also gut. Welche Menschen benutzen Messer?»
Lisa meinte, vielleicht ein Koch. «Vielleicht war sie in einem Restaurant, und der Koch hat bemerkt, dass sie viel Geld in der Brieftasche hatte.»
«Richtig», sagte meine Mutter, «denn genau das machen Köche bekanntlich. Sie kriechen in der Gaststube auf dem Fußboden herum und überprüfen den Inhalt von Brieftaschen, während sich das Essen in der Küche selbst kocht. Los jetzt, denken. Wer benutzt ein Messer, um ein Verbrechen zu begehen? In einer Welt voller Schusswaffen: Welcher Mensch benutzt immer noch ein Messer? Gibst du auf? Nur ein einziges kleines zusammengesetztes Wort: Drogenabhängiger. So einfach ist das. Ein professioneller Dieb würde eine Pistole verwenden, aber sogar gebraucht kostet eine Pistole Geld. Drogenabhängige können sich keine Pistolen leisten. Sie brauchen ihr ganzes Geld für Dröhnung und Stoff – die harten Sachen. Diese Giftler haben eine Angewohnheit, die sie zu jeder Minute jeden Tages füttern müssen, und das bedeutet, sie sind immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss. Es war ein Heroinsüchtiger, der dem Mädchen von der Bank nach Hause gefolgt ist, sein Auto um die Ecke abgestellt hat, ins Haus eingebrochen ist und sie mit vorgehaltenem Messer überfallen hat.»
«Wenn er sich keine Pistole leisten kann, was macht er dann mit einem Auto?», fragte Lisa. «Und was ist mit dem Radiowecker?»
«Hör bloß mit diesem Scheiß-Radiowecker auf», sagte meine Mutter. «Und das Auto war natürlich gestohlen. Das hat er letzten Donnerstag diesem Ehepaar in der Pamlico Street gestohlen. Du hast doch den Bericht in der Zeitung gelesen. Den nagelneuen Ford Mustang, weißt du noch? Du dachtest, Zigeuner hätten ihn gestohlen, und ich hab gesagt, in diesem Teil des Landes haben wir nicht mal Zigeuner. Ich hab gesagt, das Auto wurde von einem Fixer für eine Serie von Einbrüchen gestohlen, bevor er es an einen Ausschlachter verkauft. Bingo. Genau so war’s.» Sie drückte ihre Zigarette aus und malte mit der Kippe ein X in den Mulm ihres eingeschwärzten Aschenbechers, womit sie kundzutun pflegte, dass dieser spezielle Fall für sie abgeschlossen war. «Was steht als nächstes auf dem Dienstplan?»
Sachbeschädigung in der Poole Road 318, Einbruch in die Five-Points-Apotheke, Fahrerflucht auf dem Parkplatz von Swain’s Steak House …: Es war immer das Werk eines Drogenabhängigen oder eines ehemaligen Polizisten, eines «Renegaten», eines «Einzelgängers». Wenn man meine Mutter reden hörte, konnte man meinen, die sonnigen, manikürten Straßen der gutbürgerlichen Wohnviertel von Raleigh wimmelten von Heroinsüchtigen, die sich durch das Tuch
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