Nackt
pfirsichfarbenen Mustang, der einem Sprachtherapeuten aus Barstow gehörte, und ich drehte mich kurz auf meinem Autositz um, bevor ich schwor, nie wieder einen Blick zurückzuwerfen.
Das San Francisco, das uns erwartete, wies keinerlei Ähnlichkeit mit dem think tank der Boheme auf, wie er in Randolphs zerfledderten Taschenbüchern beschrieben wurde. Die Straßen wimmelten nicht von Poeten, die in ihrem Gewissen schürften, sondern von Männern, die Westen mit Ziernägeln und enge Leder-Chaps trugen. Dies war nicht die Stadt des Beat, sondern ein Gebiet, das man hätte verbieten müssen. Veronica hatte für uns Zimmer in einem Wohnheim gefunden, welches von einem karamellfarbenen Mann geleitet wurde, dessen seltsame östliche Religion grelle orangefarbene Gewänder, unablässigen Gesang und Handschellen erforderlich machte. Randolph blieb zehn Tage und fuhr mit dem Bus nach Hause, nachdem ihm auf dem Korridor ein Nachbar die Frage gestellt hatte, ob er wohl so nett sein und seinen Penis für eine Blindverkostung zur Verfügung stellen könne. Veronica und ich reisten drei Monate später ab und fuhren nach Oregon, wo wir hofften, uns bei der Apfel- und Birnenernte dumm und krumm zu verdienen. Krumm beschrieb die Arbeit recht genau, und sobald sie vorbei war, hinkten wir die Küste hinauf nach Kanada, zurück nach Kalifornien, weiter quer durchs ganze Land, und machten halt, wo es uns passte. Es war die Verwirklichung meiner High-School-Phantasie, nur dass Veronica kaum einem Nasenaffen ähnelte. Sie war jedoch die ideale Reisegefährtin, gelassen und ausgeglichen. Als Pärchen wurden wir von Leuten mitgenommen, die nicht angehalten hätten, wenn wir zwei Männer gewesen wären. Das waren alleinreisende Frauen und Fernfahrer, die behaupteten, sie brauchten Gesellschaft, aber kaum je ein Wort sagten. Manchmal luden uns Leute zu sich nach Hause ein, die Nacht auf den Sofas zu verbringen. «Das Badezimmer ist am anderen Ende des Ganges und ich hab ein paar frische Handtücher hingelegt. Ich verlass mich drauf, dass ihr nicht den Fernseher oder die Stereo-Anlage klaut, aber alles andere könnt ihr haben, ist sowieso nur Müll.» Oder wir schliefen in leer stehenden Häusern, unter Brücken und Regendächern und einmal sogar auf dem Parkplatz eines Spielcasinos in Las Vegas. Wir fuhren hinunter nach Texas, nur um einmal ein Gürteltier zu sehen, bogen dann nach Norden ab und kamen Mitte November im westlichen North Carolina an. Die nächste Station sollte Raleigh sein, und um das Unvermeidliche hinauszuzögern, dachte ich, ich könnte mal ein paar Freunde vom College in Ohio besuchen. Es war die längste Reise, die ich je allein unternommen hatte, aber nachdem ich so viele Meilen zurückgelegt hatte, fand ich, ich konnte mich der Herausforderung stellen. Die Zeit hatte mich weise gemacht, dachte ich. Ohne irgendjemanden als Vorbild zu bemühen, war es mir gelungen, mich zu einer tollkühnen, heroischen Gestalt umzuwandeln, viel edler als die Personen, die in Randolphs modischen Beatnik-Gedichten oder -Romanen beschrieben wurden. Meine Freunde auf dem College würden mich als Propheten ansehen, und meine Gegenwart würde sie dazu bringen, den Wert ihres zahmen, vorhersehbaren Lebens infrage zu stellen. «Erzähl uns doch noch mal von deinen drei Tagen in der Mojave-Wüste», würden sie bitten. «Hattest du denn keine Angst? Schmeckt Klapperschlange wirklich wie Hühnchen? Was hast du mit den Zähnen gemacht?»
Ich hatte nicht vorgehabt zu lügen, aber es schien ein guter Schachzug, meine Geschichten zu schmücken, sie ein wenig zu polstern und zu retuschieren. Ich stand am Straßenrand und dachte, ich hätte genauso gut wilde Hengste zureiten oder Forellen mit den bloßen Händen fangen können –, wichtig war, dass ich mich kopfüber ins Leben gestürzt hatte, ohne Rücksicht auf die Folgen.
Ein Fenstervertreter nahm mich mit, sehr sogar, auf eine schier nicht enden wollende Strecke und er verbrachte sechs Stunden damit zu sagen: «Immer nur nehmen und nehmen, stimmt’s? Da stellt man sich einfach hin und steckt den Daumen in die Luft und schnappt sich, was man kriegen kann. Jawoll, da nimmt man und nimmt, bis man fast platzt. Aber wie steht’s mit Geben? Schon mal an Geben gedacht? Natürlich nicht, man hat ja alle Händevoll mit Nehmen zu tun, Herr von und zu vom Stamme Nimm. Ich dagegen bin das, was man einen Steuerzahler nennt. Die Steuer … Wie soll ich das erklären …? Das ist eine Art Tarif, den arbeitende
Weitere Kostenlose Bücher