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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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an», krähte er, «mit einem Gehirndoktor unterwegs!» Wir könnten sofort aufbrechen, sobald er ein paar Dokumente bei einem Freund abgeliefert habe. Er verließ die Bundesautobahn und fuhr erst Bundesstraßen, dann gewundene Landstraßen bis zu einer Kneipe. Sie bestand aus einem gedrungenen Schlackeziegelbau, der außen von Bierreklamen und dem Hinweis auf die Existenz eines Billardtisches beleuchtet war. Er lud mich ein, ihm Gesellschaft zu leisten, aber ich war noch nicht volljährig und hatte auch noch keinen Durst auf Alkohol entwickelt. «Gehen Sie nur», sagte ich. «Ich bleibe hier und lerne noch ein bisschen für das Lobotomie-Pensum von nächster Woche.» Es brachte mich um, dass T. W. mir den Arzt tatsächlich abgekauft hatte. Sobald wir in Kent ankamen, musste ich ihn dazu bringen, mich vor der Krankenstation abzusetzen und die paar Straßen zum Wohnheim ging ich dann zu Fuß. Ich hoffte, dass wir bis dahin nicht an irgendwelchen Autounfällen vorbeikamen, aber falls doch, würde ich ihm sagen, ich hätte keine Lizenz für diesen betreffenden Bundesstaat und dürfte dort leider nicht praktizieren.
    Der Abend dämmerte, als T. W. die Bar betrat. Ich sah, wie die Sonne hinter dem Rund der Berge unterging und wartete eine Stunde, zwei Stunden, drei, bis es zu dunkel war, sich den Rucksack zu schnappen und auf eigene Faust weiterzuziehen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und auf dieser Straße kamen nur wenige Autos vorbei. Es gab keine Straßenlaternen und in der Ferne bellten Hunde. Als es anfing zu regnen, holte ich meinen Rucksack von der Ladefläche, trug ihn nach vorne und durchwühlte ihn nach einem zusätzlichen Pullover und einem Paar Socken, die ich mir an die Hände ziehen konnte. Ein Auto bog auf den Parkplatz ein und ich beobachtete, wie der Fahrer seinen Aschenbecher auf dem Kies ausleerte, bevor er die Bar betrat. Das schien mir die passende Geste für diesen Ort. Ich starrte die Lichter der Taverne an und fragte mich, wer wohl freiwillig in so einem schnuckeligen Schnarchnest leben mochte. Soweit ich gesehen hatte, war es nicht mehr als eine Kollektion von Fertighäusern, um einen Kiosk herum gebaut. Die Landschaft war zwar hübsch genug; man konnte durch sie hindurch fahren und die Berge bewundern, aber würde man dann nicht an einen bedeutenderen Ort fahren wollen? Reisen bildet, aber ohne Veronica deprimierte es nur. Je weiter ich herumkam, desto klarer wurde mir, dass ich niemandem wichtig war außer der Familie, die ich zurückgelassen hatte –, und wer kannte die schon außer ihren Freunden und Nachbarn in einer Stadt, die genauso witzlos war wie diese? Raleigh hatte zwar einen größeren Punkt auf der Landkarte, aber als Ganzes gesehen, hatte sich die Masse fremder Groß- und Kleinstädte dazu verschworen, den ohnehin wackeligen Mythos meines Dünkels vollends kleinzukriegen. Diese Gedankengänge machten mich völlig fertig, ich stellte das Autoradio an und lauschte einer Sendung, bei der die Hörer anrufen sollten. Sie riefen an und die Themen des Abends umfassten ein bevorstehendes Traktor-Wettziehen ebenso wie die verborgenen Gefahren, die in unbeaufsichtigten Heizsonnen schlummern. Heizen. Es war, als läse man einem hungerstreikenden Gefangenen eine Speisekarte vor. Ich hörte den Anrufern zu, stellte mir ihr warmes, behagliches Zuhause vor und beobachtete, wie meinem Munde eisige Wolken entquollen, die sich in der frostigen Luft auflösten.
    T. W. taumelte gegen zehn Uhr aus der Bar, fast sechs Stunden, nachdem er sie betreten hatte. Er hatte die Arme um einen jubelnden Mann mit langem Gesicht und eine fettleibige Frau geschlungen, die sich als Schutz gegen den Regen ihre Handtasche über den Kopf hielt.
    Sie sagte etwas, die beiden Männer krümmten sich vor Lachen und erbrachen sich praktisch vor Heiterkeit. Ich war übelster Laune, wusste aber, dass ich es würde schlucken müssen, wie ich immer alles schlucken musste, wenn ich mich auf andere verließ. Was auch seine Verdienste sein mochten –, das Trampen beraubte einen des gottgegebenen Rechts auf Gemecker. Ich musste so tun, als hätte ich weder gewartet, noch gefroren. «Das ging ja schnell», wollte ich sagen. «Nein, mir geht’s ganz prima. Ich reibe mir nur die Hände, weil ich aufgeregt bin. Was jetzt?» Ein Blick, und jeder wusste, dass T. W betrunken war. Er winkte seinen Gefährten zum Abschied und machte sich daran, den Motor seines Kleinlasters in Gang zu bringen, wobei er mit dem Zündschlüssel mal

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