Nackt
hier-, mal dorthin stach, als wäre das Zündschloss während seiner langen Abwesenheit unbekannt verzogen.
«Diese Leute sind meine Freunde», sagte er. «Ich kenne sie schon mein ganzes Leben lang, und es sind gute Leute, mit denen man Spaß haben kann, hast du das verstanden?»
Sein Gesicht hatte alle Spuren von Unschuld eingebüßt und war hart und dogmatisch geworden. «Freunde. Persönliche, private, gottverdammte Freunde. Das sind meine Freunde, meine eigenen Scheißfreunde.» Er wiederholte das Wort noch mehrere Male und trommelte sich zur Unterstreichung auf den Brustkorb. «Freunde. Sie mögen mich. Ich mag sie. Jetzt fahren wir zurück.»
Etwas sagte mir, wir würden in der nächsten Zeit nicht nach Ohio fahren. Wir erreichten die Bundesautobahn, hell erleuchtet und voller Verkehr. Ich sagte, er könne mich hier raus lassen, aber T. W. wollte nichts davon hören. «Nichts da», sagte er. «Du kommst jetzt mit zu mir nach Hause. Nach Hause mit mir zu mir nach Hause. Ich hab die Bude richtig schön eingerichtet, mit Teppichen und Fernsehern und dem ganzen Scheißdreck. In einer solchen Nacht kann ich dich doch nicht alleine losziehen lassen. Vergiss den ganzen Kack mit Schule und College; diese Leute sind doch scheißegal.»
Ich stellte mir sein Haus mit dem miesen Anstrich und den dungfarbenen Teppichen vor und hoffte, dass es an einer vielbefahrenen Straße lag. Wenn ich da war, konnte ich wahrscheinlich wegrennen, aber bis dahin musste ich ihn bei Laune halten.
«So, so, ein großer Brägendoktor bist du? Steckst gern andern Leuten deine dicken kleinen Finger in den Schädel und bastelst drin rum? Ja, gefällt dir das? Ich werd dir was geben, woran du herumbasteln kannst, großer Meister.»
Ich blickte auf die Straße hinaus und sah es nicht kommen. Er packte mich am Haar und zerrte meinen Kopf auf den Sitz hinunter, wo er mich, mit der einen Hand festhielt, während er sich mit der anderen in die Jackentasche fasste. Der Kleinlaster scherte aus und rutschte auf das Kiesbankett, bevor er das Lenkrad packte und den Wagen unter Kontrolle bekam. Da war etwas Kaltes und Stumpfes, was hart gegen meine Kinnlade gedrückt wurde und noch bevor ich es deutlich sah, kapierte ich, dass es eine Pistole war. Ihre physische Präsenz rief eine Ahnung von Dringlichkeit hervor, wie sie in allen Filmen oder Fernsehdramen, wo sie eine solche Schlüsselrolle spielt, fehlt. «Na? Gefällt dir das?»
Nur ein professioneller Irrer konnte so eine hirnverbrannte Frage stellen. Ich stellte mir sein Haus mit demselben Anstrich und derselben Auslegware vor, nur war es diesmal mit Leichen vollgestapelt, da es genau der richtige Ort für so was zu sein schien. Vielleicht nutzte er seine beruflichen Fähigkeiten und hatte eine Kühlkammer gegen die Verwesung gebaut, oder er wollte mich unter einem alten Werkzeugschuppen begraben, und die zuständigen Stellen mussten mich an Hand meiner zahnärztlichen Unterlagen identifizieren. Zahnärztliche Unterlagen, mein Gott. Wann war ich eigentlich das letztemal beim Zahnarzt gewesen, und warum war ich nicht eben jetzt beim Zahnarzt, während meine Mutter im Wartezimmer wartete und rauchte und sich Rezepte aus den Frauenzeitschriften riss, wenn die Sprechstundenhilfe es nicht merkte? Um seine Unterlagen gebeten, würde mein Zahnarzt wahrscheinlich sagen, selbst schuld, wenn man per Anhalter fährt. Alle würden das sagen. Meine Leute würden den Kopf hängen lassen, von meiner Dummheit beschämt, und T. W.s Nachbarn würden ins Fernsehen kommen, um zu sagen: «Er war so ein netter Mensch; wir hatten ja keine Ahnung.»
Ich spürte, wie der Wagen langsamer wurde und abbog. Wir waren jetzt nicht mehr auf der Bundesautobahn, wahrscheinlich auf einer unebenen Ausfahrt. Er hob die Pistole, um besser lenken zu können, und ich krabbelte über den Sitz, stieß die Tür auf und sprang, wobei ich unausgesetzt an die vielen Fernsehdetektive dachte, die dies auf wöchentlicher Basis zu tun schienen. Meine Mutter und ältere Schwester hatten sich die Nase am Bildschirm plattgedrückt, während ich ihre Begeisterung verhöhnte und bespöttelte. Springen und abrollen, dachte ich. Hatte das nicht meine Mutter gesagt, als ihr Held mit den dem Feind gestohlenen Blaupausen von einem Zug sprang? Springen und abrollen, springen und abrollen. Ich schlug auf dem Kiesbankett auf und stürzte weiter in einen Schlammgraben voll Abfall und Dornengestrüpp. Mein Rucksack war ein paar Meter entfernt gelandet, ich
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