Nackt
eine halbe Meile von meinem Landepunkt entfernt war. Als der Trainer kam, um meinen Fallschirm aufzusammeln, trat ich meinen Joint aus und sagte: «Ich verstehe das ganze Getue nicht. Das war doch ein Klacks.»
Am Ende des Schuljahrs trampte ich nach San Francisco, von dem Gedanken bezaubert, ein Leben als Erwachsener zu führen und von lauter Menschen umgeben, die sich die Haare selbst waschen konnten. Meine Freundin Veronica besorgte mir ein Zimmer in einem Wohnheim und ich fand Arbeit als Fahrradbote. Die Straßen in meinem Stadtteil dufteten nach den Eukalyptusbäumen, und jeder fremde Passant weckte die Hoffnung, morgen könnte der Tag sein, an dem mir ein behaglicher Job oder eine Zwölfzimmerwohnung angeboten wurde. Ich war weit von meiner Familie entfernt und malte mir oft aus, wie sie ihre Ferien ohne mich durchstehen mussten. Sie hatten mich schäbig behandelt, aber ich hatte mich durchgesetzt, denn die Art Mensch war ich nun mal, eigensinnig und unabhängig. Ich, der Sieger. Eines Abends kochte ich mir in meiner elektrischen Bratpfanne Spaghetti mit Ketchup, als ich den Münzfernsprecher auf dem Flur klingeln hörte. Es war Peg, die anrief, um zu sagen, dass sie von zu Hause weggerollt sei.
«Das finde ich gut», sagte ich. «Das ist das Beste, was du je getan haben wirst.» Als ich erfuhr, dass sie vom Flughafen San Francisco anrief, modifizierte ich meine Aussage: «Ich weiß nicht, Peg. Meinst du nicht, deine Eltern machen sich Sorgen um dich? Und was wird aus deinem Studium?»
Es folgte eine Lektion, aus der hervorging, dass College und wirkliches Leben denkbar wenig miteinander zu tun haben. Wenn man das Haus verlassen wollte, bedeutete das, dass man Peg fünf Stockwerke hinuntertragen und dann noch mal rauf musste, um ihren Rollstuhl zu holen. Der Betreiber berechnete mir den doppelten Betrag, weil ich einen Gast auf dem Zimmer hatte, und ich verlor meinen Job, als Peg gegen die Badewanne fiel und am Kopf mit fünf Stichen genäht werden musste. Es war eine große Stadt und die Leute hielten ihres beisammen. Niemand wollte etwas von dem jungen Ehepaar auf der Suche nach einem besseren Leben hören, und nicht einmal die Busse hielten an, damit wir einsteigen konnten. Ich hatte es satt, und Veronica und ich beschlossen, zur Apfelernte nach Norden zu gehen. Ich sagte es Peg und hoffte, sie würde das akzeptieren und nach Hause zurückkehren, aber sie ließ nicht locker. Mit einem Telefonbuch bewaffnet, rief sie per R-Gespräch Regierungsstellen an, deren Mitarbeiter nicht aufegten, wenn sie das Telefon fallen ließ oder zwanzig Minuten brauchte, um einen Kuli zu finden. Freiwillige rollten sie zu Meetings in vollgestopften Erdgeschoss-Büros, wo Paraplegiker zum Salut die Faust erhoben und sie zu ihrer Entschlossenheit und Beharrlichkeit beglückwünschten. Schließlich lebte sie allein in einem Apartmenthaus aus roten Ziegeln in Berkeley. Alle zwölf Stunden kam jemand, um ihr die Mahlzeiten zuzubereiten und ihr aufs Klo zu helfen. Wenn ein Spasmus sie zu Boden warf, lag sie geduldig da, bis Hilfe kam, um ihr die Wunden zu verbinden. Wenn ihre Eltern anriefen, legte sie entweder auf oder beschimpfte sie, je nach Stimmungslage. Pegs größter Traum war es, weit weg von ihren Eltern zu leben und sexuelle Erfüllung zu genießen. Sie schickte eine Postkarte, auf welcher das Ereignis detailliert dargestellt war. Drei Rollstühle waren um ihr Wasserbett herum geparkt gewesen; der dritte gehörte einem bisexuellen Paraplegiker, der die Aufgabe hatte, die Liebenden in Stellung zu rücken. Innerhalb eines Jahres verschlechterte sich ihre Gesundheit so sehr, dass sie nicht mehr zwölf Stunden lang allein gelassen werden konnte. Am Ende kamen wir beide zu unseren Eltern zurückgekrochen, blieben aber weiter in Verbindung, und ihre Briefe waren immer schwerer zu entziffern. Zuletzt hörte ich 1979 etwas von ihr, kurz bevor sie starb. Peg hatte eine religiöse Wandlung durchgemacht, schrieb gerade an ihren Memoiren und hoffte, derselbe christliche Verlag würde sie bringen, der gerade mit Joni! einen Hit gelandet hatte, einem Buch über das Leben einer jungen Querschnittsgelähmten, die mit einem Pinsel zwischen den Zähnen die Geschöpfe des Waldes gemalt hatte. Sie schickte mir ein dreiseitiges Kapitel über unsere Tramptour nach North Carolina. «Gott segne all die wunderbaren Menschen, die uns auf unserem Weg geholfen haben!», schrieb sie. «An jedem Tag, den Er mir vergönnt, danke ich dem Herrn für ihre
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