Nackt
Das Stehlen von Jacken ist im Staat Oregon ein Verbrechen.»
Es schreckte mich nicht, die Nacht im Gefängnis zu verbringen, weil ich versehentlich die Jacke einer Wahnsinnigen entwendet hatte, deren Sohn Treppenpfosten für erotische Objekte hielt. Ich gab ihm die Jacke seiner Mutter, entschuldigte mich für das Missverständnis und dachte, das wäre es gewesen, aber er ging mich immer wieder an, knuffte mir auf den Kopf und lud mich zum Ringen ein. «Wir können das auch ohne die Spielsachen machen, wenn es dir so lieber ist», sagte er. «Ich hab eine Flasche im Laster; die können wir auch nehmen. Na los, Einstein, du bist mir was schuldig.» Wenn ich ihn abwies, steigerte er sich, trieb mir seine Knöchel in den Schädel und arbeitete sich und mich in Richtung Bett vor. «Bisschen kitzlig, was? Lässt dich gern ein bisschen aufschütteln wie ein Kissen, was? Das gefällt dir, was, du kleiner Kitzelbitzel?» Für kurze Zeit konnte ich seiner Umarmung entrinnen, aber der Mann war zu schnell für mich. Seit Monaten schwitzte ich zum ersten mal. Er schmiss mich um und drückte meine Schultern gegen den Fußboden. «Mach, dass du von mir runterkommst!», rief ich. «Ich kann das nicht mit dir machen, weil … weil ich Christ bin.» Da hatte ich das Gefühl, als öffneten sich gleichzeitig mein Herz und die schleimabsondernden Drüsen von Nase und Hals. An meinen behandschuhten Händen war so viel Rotz, dass sie, als ich die Handflächen im Gebet aneinanderhielt, kleben blieben wie geleimt. Ich weinte und plärrte und dann schluchzte ich. «Ich bin Christ. Ich liebe Jesus; kannst du das nicht sehen?» Die Worte klangen wahr und ich weinte noch heftiger. «Christ, ich bin Christ. Hilf mir Jesus, ich bin Christ.»
«Schluss damit», sagte Curly und ging rückwärts zur Tür. «Ich wollte nicht deine Lebensgeschichte, nur einen schnellen Fick.»
Ich blieb noch lange, nachdem er gegangen war, auf dem Fußboden liegen und fragte mich, wie mein Leben wohl werden würde, jetzt, nachdem ich endlich mein Herz geöffnet hatte. Die Zigaretten schmeckten bereits besser, aber das tun sie nach einer ordentlichen Flennerei immer. Der Kühlschrank, der Toaster, alle Geräte sahen noch genauso aus wie vorher. Ich dachte, die Dinge würden strahlender erscheinen, wenn man sie mit der heiteren christlichen Einstellung betrachtete, und so ging ich ins Badezimmer, als wäre es ein Klubhaus voller treuer Freunde. «Hallo, Seife», sagte ich. «Na, wie läuft’s, Toilette?» – «Siehst gut aus, Badevorleger.» Ich ging durch Küche und Wohnzimmer – «Du oller Lampenschirm, du» – und stieß bis ins Schlafzimmer vor, wo ich mein Adressbuch durchblätterte und mich zwang, freundliche Gedanken über jeden zu denken, den ich durchgestrichen hatte. Es war schon spät, als ich endlich ins Bett ging, und ich konnte lange nicht einschlafen, weil ich mich fragte, ob Gott mich beobachtete. Es war ein unbehagliches Gefühl, beobachtet zu werden. Was war mit dem Klo, beobachtete Er mich da auch? Wahrscheinlich hatte Er überall Zutritt, wo Menschen litten, und das galt, wenn ich an meine Erntedankmahlzeit dachte, gewiss auch für die Toilette. Wie war es dann möglich, Ihn vom Beobachten abzuhalten? Morgen früh wollte ich gleich als erstes Jon fragen. Es war schwer einzuschlafen, teilweise weil ich es nicht erwarten konnte, ihm die Neuigkeit zu berichten. Ich war jetzt ein Christ, ein Christ. Hoffentlich konnte ich die Phase, in der man große Kreuze trägt und Broschüren mit dem Titel Der Satan in Mrs. Jones oder Schlachthaus des Satans verteilt, überspringen. Indem ich die hoffnungslos geschmacksarmen Mitsinge-Abende und jeder-isst-was-auf-den Tisch-kommt-Kirchenkeller-Diners ausließ, strebte ich schnurstracks den Posten des Beurteilers an. Die Menschen würden mir Geld dafür zahlen, dass ich ihnen sagte, was sie falsch machten, und indem ich jeden einzelnen ihrer Schritte kritisierte, würde ich der ganzen Menschheit helfen. Mit einem bisschen Glück konnte ich das tun, ohne etwas Marshmallowhaltiges essen oder die Bibel lesen zu müssen. Ich stellte mir gerade meine Privataudienz beim Papst vor, als ich endlich zum Klang erwachender Vogelstimmen einschlief.
«Jesus, du siehst aus wie Scheiße», sagte Jon, als ich mich früh am Morgen in seinem Kombi niederließ. Ich dachte, ich könnte meine Rede auswendig, aber ich hatte verschlafen und keine Zeit gehabt, mir eine Kanne Kaffee zu kochen. Groggy und dickzüngig begann ich mit der
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