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Nacktbadestrand

Nacktbadestrand

Titel: Nacktbadestrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfriede Vavrik
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vorgestellt, und vermutlich hieß er wirklich so. Er machte einen ehrlichen Eindruck auf mich, er wirkte beinahe naiv.
    Â»Ich darf am Heiligen Abend das Gefängnis verlassen«, sagte er. »Meine Freunde haben mir deine Kontaktanzeige ausgeschnitten, damit ich den Abend mit einer Frau verbringen kann. Ich werde dir ein Geschenk mitbringen. Wirst du Zeit haben? Oder hast du Familie?«
    Ich hatte gezögert, aber nur, um die richtigen Worte zu wählen. Freiheit, freie Menschen – das war für ihn vermutlich etwas Neues, und ich wollte ihn nicht erschrecken.
    Â»Keine Angst«, sagte er. »Du musst wirklich keine Angst vor mir haben. Ich bin ganz friedlich. Ich habe meine Strafe bald abgesessen, dann komme ich endgültig raus. Das versaue ich mir ganz sicher nicht mehr.«
    Ich mochte diese Mischung aus Schroffheit und Unbeholfenheit in seiner Stimme, diese Ungeschicklichkeit im Umgang mit der Welt nach all den Jahren, die daraus sprach. Er hatte kein Auto und wollte mit dem Bus kommen. Ich sagte ihm, dass ich ihn von der Busstation abholen würde.
    Ein verschneiter und ruhiger vierundzwanzigster Dezember brach an. Ich war wegen Jakob nicht aufgeregt, obwohl ich es erwartet hatte. Vielleicht lag es an Gerald. Ihn zu haben, gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich sorgte mich kein bisschen, einen Gewaltverbrecher zu treffen, von dem noch unklar war, wie er mit der Welt, den Menschen und vor allem den Frauen umgehen würde.
    Ich telefonierte mit meinem ältesten und mit meinem jüngsten Sohn. Sie verbrachten Weihnachten seit Jahren mit ihren Freunden und Familien. Mir machte das nicht allzu viel aus. Ich fand diese Feiertage ohnehin schon lange ein bisschen lästig. Ich verband mit Weihnachten auch keine besonders guten Erinnerungen. Wie überhaupt mit meiner Jugend. Damals wünschte ich mir nichts mehr als eine umfassende Bildung. Ich lernte sehr gern und war in der Schule immer sehr gut. Aber meine Mutter wollte mir keine Ausbildung bezahlen.
    Also bat ich meine Mutter einige Jahre in Folge immer zu Weihnachten, zumindest eine kleine Ausbildung, wenigstens eine Lehre machen zu dürfen. Sie wurde jedes Mal wütend. Sie sagte, dass wir wirklich kein Geld hätten, um uns solche unnötigen Dinge zu leisten. Wenigstens die Erzieherinnenschule gestand sie mir dann zu. Erst durch meinen ersten Mann konnte ich mich beruflich ein wenig verwirklichen: ZuerstWaschmaschinenvertreterin, dann Empfangsdame und später Angestellte in einem Fotogeschäft. Schließlich eröffnete ich meine Buch- und Papierhandlung.
    Vor allem mit meinem zweiten Mann waren die Weihnachtsfeiertage deprimierend. Oft war er gar nicht da. Dann soff er mit seinen Kumpanen. Das war noch die angenehmere Variante. Einmal waren wir am Vierundzwanzigsten bei Freunden eingeladen. Ich hatte gehofft, dass er sich zumindest hier zusammenreißen würde. Ich hatte mich getäuscht. Es wurde sogar noch schlimmer. Er betrank sich und verlor schließlich überraschend völlig die Kontrolle. Er zerstörte in der fremden Wohnung die Hälfte des Familienporzellans. Die einzige Chance, seine Raserei zu beenden, bestand darin, die Polizei zu rufen. Als er aus der Ausnüchterungszelle wieder nach Hause kam, weinte er und entschuldigte sich kindlich. Doch am Abend war er schon wieder besoffen. Die Freunde, die uns eingeladen hatten, sah ich nie wieder.
    Ich habe oft von dieser Feier geträumt. Zunächst waren es Albträume, schwarz und dunkel wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Seine Finger unter dem Tisch bohrten sich zwischen meine Beine, die Nägel kratzten mir die Scheidenwände auf. Ich schwieg dabei, und unsere Freunde lächelten und unterhielten sich weiter. Ich selbst lächelte krampfhaft.
    Oder ich träumte, dass uns das Ehepaar hinauswarf, weil mein Mann gerade dabei war, auszurasten. Dann lief ich mit den Kindern aus dem Haus und winkte einem Taxi. Ich setzte die Kinder hinein und wollte auch selbst einsteigen, aber der Wagen fuhr los und verschwand in der Finsternis. Mein zweiter Mann hielt mich an den Haaren fest, und ich wollte schreien, aber meine Zunge war nicht mehr da.
    Aber es gab auch Träume, in denen alles gut war mit ihm, besonders gut sogar. Dann träumte ich, dass er mich vom Sesselhob, meine Strumpfhose zerriss, mich auf den Tisch setzte, den Topf mit der Fischsuppe umstieß, und dann war es, als ob er der Tänzer wäre. Das Ehepaar, bei dem wir zu

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