Nadel, Faden, Hackebeil
mögen. Folglich versteckte er seine Sticksachen sogar vor seinem Harem. Nur seine Kumpel aus der VHS -Männerkochgruppe wussten aufgrund von Zusammenhängen, die zu erläutern hier zu weit führen würde, von seiner heimlichen Leidenschaft. Und obwohl er sich geschworen hatte, dass niemand – niemand! – jemals von seinem geliebten Stick-Hobby erfahren dürfe, trieb ihn ein nicht nachvollziehbarer Drang dazu, seine Arbeiten unter das Volk zu bringen. Er wünschte sich mehr als alles andere, dass fremde Menschen Freude an seinen Stickereien fanden. Und da sein früherer Händler in Rothenburg ob der Tauber aufgrund qualitativer Mängel, die Seifferheld zwar gar nicht zu verantworten hatte, für die er aber abgestraft worden war, nicht länger zur Verfügung stand, musste er dringend einen neuen Vertriebsweg auftun. Und da war ihm der Souvenirladen von Frau Runkel eingefallen, an dem er auf seinen Spaziergängen mit Onis täglich vorbeikam.
Aber offenbar schien Frau Runkel ein sehr entspanntes Verhältnis zur Anwesenheitspflicht in ihrem Geschäft zu haben.
»Hallo«, rief Seifferheld noch einmal.
In Schwäbisch Hall war die Kriminalität noch überschaubar. Natürlich gab es Ladendiebstähle, und der Schwund gerade in Kleinkramläden war beachtlich, aber es wurden nur äußerst selten Kassen aufgebrochen. Darum verließen Geschäftsinhaber schon mal kurz den Laden, um sich in der Bäckerei nebenan einen Coffee-to-go zu holen oder sich im Hinterzimmer selbst das Heißgetränk ihrer Wahl zu brauen.
Seifferheld hatte fest vor, sich in Geduld zu hüllen.
Aber merkwürdig war es schon.
Vielleicht machte der Laden erst um zehn auf und die Tür war nur zufällig schon geöffnet gewesen? Mit seiner Gehhilfe humpelte er zur Ladentür, öffnete sie und las auf dem kalligraphierten Aushang, dass montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr geöffnet war. Er schloss die Tür wieder, und erneut tönte der Gong, was das Zeug hielt. Das hörte man nicht nur im Hinterzimmer, das hörte man zweifellos bis zur Henkersbrücke und auch noch auf der anderen Kocherseite.
»Hallo? Niemand hier?«, rief Seifferheld nun schon drängender.
Onis schob seine Schnauze wie ein Schneeräumgerät über den Boden. Das war mit ein Grund, warum Seifferheld ihm – obwohl er ihn abgöttisch liebte – nie einen Kuss auf die feuchte Hundenase drückte. Da konnte er ja gleich den Fußboden ablecken.
»Hallo!«
Onis schnüffelte sich in Richtung Hinterzimmer. Das Schnüffeln wurde aufgeregter. Seifferheld runzelte die Stirn. Mit wippendem Schwanz, die Schnauze über den Boden schrubbend, lief Onis unter dem schweren Samtvorhang hindurch.
Seifferheld humpelte hinterher. Seine Hüfte machte ihm wieder zu schaffen. Bevor MaC heute Abend kam, musste er sich von Olaf unbedingt noch einmal durchkneten lassen.
Am Samtvorhang anklopfen ging nicht, darum rief er nur noch einmal »Hallo« und schob den Vorhang dann zur Seite.
Er hatte kein ungutes Gefühl dabei. Warum auch?
Vor sich sah er das ganz normale Hinterzimmer eines Souvenirladens. Ein übervoller Schreibtisch mit geöffneten, aber noch nicht ausgepackten Versandpaketen, eine leere Tasse mit einem Strohhalm darin, eine Kaffeemaschine.
Seifferheld trat ein.
Hm. Eine kalte, nicht in Betrieb genommene Kaffeemaschine.
Jetzt wurde Seifferheld stutzig. War das nicht das Erste, was man tat, wenn man morgens den Laden aufschloss: die Kaffeemaschine anwerfen? Aber vielleicht war Frau Runkel Teetrinkerin und hatte die Kaffeemaschine nur zur gelegentlichen Kundenbetreuung angeschafft. Oder Frau Runkel hatte verschlafen und musste, statt Kaffee zu kochen, erst einmal etwas anderes erledigen. Nur was?
Onis hatte seine Neugier mittlerweile abgearbeitet. Schnaufend legte er sich auf den buntgemusterten Läufer vor der schmalen Treppe, die in den ersten Stock führte.
Seifferheld stieg über Onis hinweg und erklomm die Treppe. Schmal und steil, wie in alten Fachwerkhäusern üblich. Die Tür am Treppenkopf war nur angelehnt.
Ein letztes »Hallo«, dann drückte er mit der Gehhilfe die Tür auf.
Und sah sich Kiki Runkel gegenüber.
Was er in diesem Moment aber nicht mit Sicherheit sagen konnte, denn ihr Gesicht war mit einem stumpfen Gegenstand zu einer roten Fleischmasse platt geklopft worden.
Seifferheld spürte, wie ihm Magensäure ätzend die Speiseröhre hochschoss.
Das war seit langer Zeit seine erste Leiche.
Und es war mitnichten eine schöne Leiche.
11 : 45 Uhr
Holmes schnüffelt und
Weitere Kostenlose Bücher