Nadel, Faden, Hackebeil
es wohl verpennt. In dessen Haut möchte ich nicht stecken.« Wurster griente. »Aber es lief im Radio und im Fernsehen im dritten Programm. Und ab morgen kommen dann sicher die großen Tränendrüsendrückernachrufe auf einen verdienten Politiker in den einschlägigen Medien. Mit Beileidsbekundungen der Parteifreunde und Nahaufnahmen der trauernden Witwe.«
Auch wenn Wurster immer noch bärenmarkenbärig aussah, troff aus seiner Stimme der blanke Hohn. Die Wursters waren seit Generationen Nachbarn derer von Bellingen, und Wurster besaß aus eigenem Erleben massenhaft Beweise dafür, dass Lambert von Bellingen ein Gesäß auf zwei Beinen gewesen war. Das man aber dennoch nicht in seinem Revier um die Ecke bringen durfte. Das ging ja nun gar nicht.
»Hast
du
der Witwe die Trauerbotschaft überbracht?«, wollte Seifferheld wissen.
»Nein, der Geert. Zusammen mit der Chefin. War ja schließlich ein Promi.«
»Und?«
»Nichts und.« Wurster zuckte mit den Schultern. »Die Witwe hat es gefasst aufgenommen. Besonders betroffen scheint sie nicht gewesen zu sein, hat Geert erzählt. Eine heiße Spur gibt es ansonsten noch nicht. Tja, und jetzt haben die Kollegen vom LKA den Fall an sich gerissen. Wie bei einem Politfuzzi nicht anders zu erwarten war.«
»Mir ist jetzt alles klar«, verkündete Bauer zwo.
Gleich darauf verstummte Bauer zwo, denn wenn alles klar war, musste ja nichts weiter gesagt werden.
Wurster und Seifferheld rechneten fest damit, dass Bauer zwo – der Stille nie lange aushielt – gleich behaupten würde, Kiki Runkel habe von Bellingen ermordet, weil er sich nicht für sie von seiner Frau trennen wollte, und habe sich dann mit mehreren Schlägen gegen den Kopf selbst gerichtet. Und die Tatwaffe sei von einem zufällig vorbeikommenden Einbrecher mitgenommen oder von Außerirdischen zu Forschungszwecken auf ihr Mutterschiff gebeamt worden.
Wurster und Seifferheld sollten recht behalten: Stille bekam Bauer zwo nicht.
Eine Sekunde, zwei Sekunden, dann strahlte Bauer zwo auf und rief: »Die Gattin war’s! Die Frau von Lambert von Bellingen! Ich spür’s im Zucken meiner Polypen. Sie hat die Runkel auf dem Gewissen!«
15 : 30 Uhr
Nordic Walking ohne Nordic und mit wenig Walking
Jeder hat so seine eigenen Methoden, um eine Leiche zu verdauen.
Wenn man jahrzehntelang für die Mordkommission arbeitete, dann wurde der Anblick toter Menschen natürlich irgendwann Routine. Hin und wieder allerdings erwischte es auch einen Profi eiskalt. Meistens, so heißt es, sei das bei Kinderleichen der Fall. Doch das konnte Seifferheld so nicht bestätigen. Die Gründe blieben oft im Dunkeln, aber die eine oder andere Leiche ließ einen nicht wieder los. Das konnte selbstredend ein zu Tode misshandeltes Kleinkind sein, aber durchaus auch ein jämmerlich gestorbener Greis. Oder, wie in diesem Fall, eine Frau, der man mit äußerster Brutalität das Gesicht zu Brei zerschlagen hatte, so wie es aussah, mit einem Baseballschläger. Keine Frage, da waren heftige Emotionen mit im Spiel gewesen.
Seifferheld hatte immer schon eine probate Methode gehabt, um mit so etwas fertig zu werden: Er lief den Geistern der Toten einfach davon. Ein, zwei Stunden zügiges Gehen in der Natur, und schon kehrte die Normalität des Lebens zurück. Gemäß der Devise: Weitermachen, bis dereinst das Totenglöcklein für einen selbst bimmelte.
Das zügige Gehen fiel aufgrund seiner Gehhilfe nicht mehr ganz so zügig aus, aber an diesem Nachmittag war er für seine Verhältnisse flott unterwegs. Onis genoss die von der Norm abweichende Runde, erst in Fließrichtung am Kocher entlang, dann am Ende der Neumäuerstraße links an der Töpferei Heckmann vorbei, kurz geradeaus und dann neuerlich nach links, hinein in den Wald und zur Schleifbachklinge.
Seifferheld wusste nicht, warum man von einer »Klinge« sprach, wenn ein Rinnsal sich bergab durchs hohe Grün schlängelte, wie es in und um Hall sieben Mal der Fall war, aber er schätzte gerade diese Klinge sehr. Sie war hochromantisch und führte sogar an einem Wasserfall vorbei. Seit Jahren – genauer gesagt, seit dem Tag, an dem man ihn angeschossen hatte – war er hier allerdings nicht mehr spazieren gegangen. Was seinen Grund hatte, die Steigung erwies sich als tückisch. Immer wieder musste er stehen bleiben und tief Luft holen, und nach der Hälfte der Klinge pochte seine Hüfte schmerzhaft.
Onis dagegen raste mit Ventilatorschwanz – will sagen, mit einem vor
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