Nadel, Faden, Hackebeil
befand, trat sie hinaus in den Flur, ging zur Haustür und öffnete sie.
Und sah sich Auge in Auge mit Frau Bertsch-Baierle. Kirchengemeinderätin. Erzkonservative. Und – wie sie – Mitglied im Blumenschmuckausschuss und im Kirchenkaffeekomitee.
»Was für eine Freude!«, rief Irmi automatisch aus, wenn auch nicht aus der Tiefe ihres Herzens. Es war ein reiner Stimmbandautomatismus.
»Bitte entschuldigen Sie meinen Überfall zu dieser frühen Stunde, aber ich habe es soeben erfahren: Frau Kist-Schechter ist erkrankt und fällt wohl eine ganze Woche aus. Wir müssen die Zuständigkeiten für den Kirchenkaffee am Sonntag völlig neu regeln.« Ein wenig Panik klang in der Stimme von Frau Bertsch-Baierle mit. Ungeordnete Zuständigkeiten rangierten bei ihr auf einer Stufe mit Umweltkatastrophen und Völkermord. Sie fasste sich schwer atmend an die Brust.
Irmgard bekam Mitleid. »Kommen Sie doch erst mal herein. Eine Tasse Kaffee?«
Frau Bertsch-Baierle kannte Irmis Kaffee, und obwohl in ihren Adern die Milch der frommen Denkungsart floss, hatte sie nicht die Absicht, sich dieses furchtbare Gebräu jemals wieder anzutun.
»Sehr freundlich, aber ich habe gerade erst gefrühstückt, und mehr als eine Tasse am Tag bekommt meinem Kreislauf nicht.« Sie schritt zügig in Richtung von Irmgards Zimmer. Dort saßen sie immer beisammen, wenn es um brisante Angelegenheiten der Kirchenfrauen ging.
Jetzt geriet Irmgard in Panik. Der Laptop stand noch offen auf ihrem Schreibtisch. Sie meinte, die verräterischen E-Mails bis in den Flur leuchten zu sehen.
»Oder Tee? Tee geht immer!« Irmgard überholte Frau Bertsch-Baierle in der Flurkurve wie ein Formel- 1 -Profi und baute sich auf der Schwelle zu ihrem Zimmer auf. »Gern auch ein Kaltgetränk!« Mit Freuden würde sie auch die Schätze des Seifferheldschen Weinkellers für eine vormittägliche Sauforgie opfern, wenn nur Frau Bertsch-Baierle nicht in die Nähe ihres Laptops kam.
»Nun … wenn es nicht zu viele Umstände macht … vielleicht eine heiße Schokolade?«
Seit Mozes im Haus wohnte, gab es immer einen Vorrat an Milch und Kaba.
»Sehr gern, dann gehen wir doch am besten in die Küche«, rief Irmgard freudig und streckte schon beinahe die Arme aus, um Frau Bertsch-Baierle anzuschieben.
Die roch mittlerweile Lunte und lugte über Irmgards Schulter. Auf den ersten Blick sah man nichts. Das Zimmer war so penibel aufgeräumt und klinisch sauber wie immer.
»Zur Küche geht es dort entlang«, verkündete Irmgard im Tonfall eines Türstehers vor einer angesagten Szenedisco, der einem unerwünschten Besucher den Weg zu einem zweitklassigen Alternativtanzschuppen weist.
Frau Bertsch-Baierle rückte keinen Millimeter beiseite.
Irmgard stand wie eine Eins.
Da rief es vom Hauseingang: »Guten Morgen, die Damen!«
Siggi Seifferheld war schon vom Gassigehen zurück. Onis lief auf Frau Bertsch-Baierle zu und drückte ihr die Schnauze tief in den Schritt, wie er es immer zu tun pflegte. Frau Bertsch-Baierle sah sich von Amts wegen genötigt, so zu tun, als sei ihr das unangenehm.
»Onis!«, donnerte Irmgard.
Seifferheld fühlte sich veranlasst, für gutes Wetter zu sorgen. »Sie wollen einen schönen, heißen Kakao? Den mache ich Ihnen gern!«
»Nicht nötig, Siggi, trotzdem danke«, fauchte Irmgard.
Frau Bertsch-Baierle hatte ein Gehör wie eine Fledermaus, sie hörte grundsätzlich alles. Auch im Ultraschallbereich. Auch Dinge, die nur gedacht, aber nicht ausgesprochen wurden. Aus Irmgards zitternder Stimme hörte sie definitiv heraus, dass ihre Kirchenkaffeeblumenschmuckkomiteekollegin etwas zu verbergen hatte. Dem würde sie auf den Grund gehen! »Ich würde sehr gern Ihren Kakao probieren, Herr Kommissar«, sagte sie.
»Und ich stehe Ihnen sehr gern zu Diensten«, freute sich Seifferheld. Die Kirchentante hatte er glücklich gemacht. Jetzt würde seine Schwester nichts mehr zu meckern haben.
Irmi sah ihre Felle davonschwimmen.
»Ausgezeichnet!«, entgegnete Frau Bertsch-Baierle und drängte sich an Irmgard vorbei in deren Zimmer.
Irmi funkelte ihren Bruder böse an, dann stob sie hinter Frau Bertsch-Baierle her. »Bitte, nehmen Sie doch auf dem Sessel neben der Truhe Platz. Der ist besonders bequem.«
Doch Frau Bertsch-Baierle stand bereits vor dem Laptop.
Irmgard schloss die Augen. Sie starb tausend Tode. Ihr Ruf in Kirchenkreisen war ruiniert.
»Faszinierender Bildschirmschoner«, sagte da Frau Bertsch-Baierle. Neben der leichten Enttäuschung in
Weitere Kostenlose Bücher