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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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ihrer Stimme – eine der Tasten anzuschlagen, um zu sehen, was Irmgard Seifferheld vor ihr zu verbergen trachtete, war natürlich undenkbar – schwang noch etwas anderes mit. Maliziöses Ergötzen?
    Irmgard öffnete die Augen. Bildschirmschoner? Den hatte sie noch gar nicht entdeckt. Sollte das Schicksal es noch einmal gut mit ihr gemeint haben? Waren die Online-Partnergesuche jetzt wirklich nicht mehr zu sehen?
    »Ach, der Bildschirmschoner …«, sagte Irmi gedehnt, trat auf den Laptop zu und wäre gleich darauf am liebsten vor Scham im Parkettboden versunken.
    Es war ja früher der Laptop ihrer Nichte Karina gewesen. Das rächte sich nun. Als Bildschirmschoner lachten ihr sieben muskulöse, eingeölte, nackte – nun ja, nur mit neckischen Stringtangas bekleidete – junge Männer entgegen.
    Karina!
    Der würde sie den Hals umdrehen!
    »Was für schöne Männer!«, freute sich da ihr Bruder in ihrem Rücken. Die leeren Kakaotassen auf dem Tablett in seiner Hand klapperten. »Du hast einen guten Geschmack, Irmi!«, erklärte er mit einer perversen Freude, die sich unbedingt in einem breiten, boshaften Lächeln äußern wollte. »Welchen hast du dir ausgeguckt?« Siegfried griente. »Und welcher darf’s für Sie sein?« Seifferheld stieß Frau Bertsch-Baierle mit dem Ellbogen an, was die Tassen noch mehr klappern ließ. Frau Bertsch-Baierle errötete. Dann zeigte sie verschämt auf einen Blonden in der zweiten Reihe. Seifferheld und Frau Bertsch-Baierle kicherten.
    Irmgard schloss die Augen.
    Wenn der Herr im Himmel sie in diesem Augenblick zu sich genommen hätte, es wäre ihr recht gewesen.
    Aber der Herr war gerade anderweitig beschäftigt.

09 : 49  Uhr
    Schönheit ist relativ:
ein dreifaches Hoch auf »hübsch hässlich«!
     
    »Hallo, niemand da?«
    Siggi Seifferheld hatte seine Schwester und Frau Bertsch-Baierle sich selbst überlassen und stand nun mit Onis in dem Laden namens Souvenirs und mehr. Die beiden warteten schon eine geraume Weile, der Türgong war bereits lange verhallt. Es war ein sehr lauter und lange nachhallender Gong gewesen, aber er hatte keinerlei Reaktion gezeitigt.
    Mit jeder Minute, die verstrich, war Seifferheld es mehr leid, sich die T-Shirts mit der Skyline von Hall anzuschauen, die Sammeltassen mit dem ersten Siederspärchen, die Schlüsselanhänger und Spardosen in Form Schwäbisch-Hällischer Landschweine oder hüfthohe Hartplastik-Miniaturen von markanten Türmen der Stadt: dem Glockenturm der St.-Michaelskirche, dem Keckenturm des Hällisch-Fränkischen Museums und dem Bausparkassenturm. Seifferheld war hier in einer hehren Mission – und wenn im Fernsehen Jean-Claude van Damme in hehrer Mission unterwegs war, musste der auch nicht warten.
    Onis schnüffelte in der Ecke mit den Aromaölflakons. Wäre er ein Drogenhund gewesen, man hätte Rückschlüsse ziehen können. So aber ging Seifferheld davon aus, dass ein Tourist in dieser Ecke vor nicht allzu langer Zeit Überreste der exzellenten Roten Wurst vom Merz-Imbissstand am Haalplatz hatte fallen lassen und die feine Hundenase noch eine Restduftspur ausgemacht hatte.
    Der Laden war klein, aber unübersichtlich.
    Die typischen Postkartendrehständer verbauten den Zugang zu der Regalwand mit dem Keramiknippes. In diversen Körben lagen Haller Sole-Bonbons. Auf einem Rattansessel tummelten sich Bausparfüchse und Plüschschweineferkel. Und auf einem anderen Sessel lag das, weswegen Seifferheld hierhergekommen war. Er selbst. Höchstpersönlich. In seiner Heimatstadt. Ein noch nie gekanntes Risiko.
    Kissen.
    Bestickte Kissen. »Schwäbisch Hall – Perle am Kocher«. Mit Fake-Perlen als Umrandung. Das konnte er auch sticken. Womöglich sogar besser. Er hatte Polaroidfotos der Kissen dabei, die er früher immer nach Rothenburg geschickt hatte.
    Seifferheld war ein gestandener Kerl. Jahrelang hatte er Kampfsport betrieben. War in seiner Jugend sogar Motorrad gefahren. Er war der Mann fürs Grobe, und Tante Erika, seine Kindergärtnerin im Kindergarten am Langen Graben, hatte ihm angesichts seiner bereits damals massigen Hände eine Karriere als Fleischer vorausgesagt. Sein Kindheitsheld war John Wayne gewesen. Doch ein perfides Schicksal hatte ihm offenbar ein ganz spezielles Gen in seine DNS eingepflanzt und nach seiner schweren Schussverletzung aktiviert: das Stick-Gen.
    Ein Mann seines Alters, noch dazu in einer süddeutschen Kleinstadt, konnte sich jedoch unmöglich dazu bekennen, eine typische Frauentätigkeit zu

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