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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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Lippenpiercing. Die Indizien sprachen schon sehr dafür, dass es sich um Seifferhelds Nichte handelte.
    »Und das neben ihr ist natürlich dieser Tsunami. Der verleitet sie immer zu so etwas!«, schimpfte Irmi, die Tayfun immer Tsunami nannte, weil sie nur dumpf in Erinnerung hatte, dass er nach irgendeiner Naturkatastrophe mit T benannt worden war. Seifferheld schritt nicht zur Ehrenrettung von Tayfun Ünsel ein – alle Welt wusste, dass dieser brave, junge Mann nur deshalb zu solchen Dummheiten verleitet wurde, weil er sich hoffnungslos in Karina verliebt hatte, und wenn Karina ihn gleich auffordern würde, aus der luftigen Höhe des Keckenburgturmes in die Tiefe zu springen, dann würde er das zweifelsohne tun und dabei ihn und Irmi zu Flachflundern pressen.
    »Um Gottes willen, warum greift denn niemand ein?«, gellte eine Männerstimme.
    Noch jemand wollte dieses Spektakel beendet sehen.
    Ein nach Kenzo Pour Homme duftender Mann im beigen Kamelhaarmantel quetschte sich durch die mittlerweile beachtliche Anzahl an Schaulustigen. »Meine Ausstellung! O Gott, meine Ausstellung!«
    Konzi von Bellingen packte mit der Rechten den Museumsdirektor am Arm. »Warum unternehmen Sie nichts gegen diesen Mob?« Er fuchtelte mit der Linken in Richtung Turm.
    »Die Polizei ist schon im Haus und verhandelt mit den jungen Leuten. Und keine Sorge – Ihre Exponate im Wintergarten sind dadurch in keiner Weise gefährdet. Das ist ja ein ganz anderer Gebäudetrakt.« Der Museumsdirektor sah besorgt nach oben. »Ich hoffe nur, dass sich die jungen Menschen bei ihrer Aktion nicht zu weit aus den Fenstern beugen.« Er fürchtete um das Leben der Kinder.
    Konzi sah nach oben und stellte sich vor, wie die beiden Skimaskenträger mitsamt Transparent in die Tiefe segelten. Er trat einen Schritt zurück. Wiewohl, es wäre sicher medienwirksam, wenn er als besorgter Künstler nach der schrecklichen Tragödie kummervoll in die Kamera schaute und anbot, seine Ausstellung den so hehr Verstorbenen zu widmen. Ach nein, ein neuerlicher Blick in die Höhe überzeugte ihn davon, dass die beiden weder suizidal noch grobmotorisch waren. Denen würde nichts passieren. Seiner Ausstellung dagegen schon.
    »Aber Ihre Aufmerksamkeit und die Ihrer Mitarbeiter wird dadurch abgelenkt. Morgen ist Vernissage. Wir müssen die Hängung noch einmal durchgehen.« Konzi klang verzweifelt. Es war so unglaublich wichtig, dass seine erste Einzelausstellung ein Triumph wurde.
    »Das schaffen wir schon, Herr von Bellingen, Sie dürfen wirklich ganz beruhigt sein.«
    »Beruhigt? Ich soll beruhigt sein? Ha!« Er legte eine Hand schützend vor die Augen und sah abermals zum Turm hinauf. »Ist das da oben etwa Ihre Volontärin?«
    Ja, tatsächlich, die Volontärin – eine junge, aber sehr beherzte Frau – lehnte sich aus dem Fenster unterhalb des Transparents, packte einen Zipfel des ehemaligen Betttuches und zog kräftig daran. Mit einem solchen Akt der Tatkraft hatten Karina und Tayfun nicht gerechnet, weswegen ihnen das Transparent-Schrägstrich-Betttuch, ehe sie sichs versahen, aus den Händen glitt.
    »Was hat Ihre Volontärin da oben zu suchen? Die soll gefälligst meine Bilder aufhängen!«, verlangte Konzi.
    Der Museumsdirektor holte tief Luft. Ihm wurden tote Künstler zunehmend sympathischer.
    »Die Kultur darf nicht sterben!«, skandierten Karina und Tayfun jetzt aus voller Brust, um den Verlust ihres Transparents wettzumachen.
    Mittlerweile war auch Fela Nneka im Auftrag des
Haller Tagblatts
eingetroffen. Er winkte seiner Freundin zu. Karina winkte zurück. Irmi guckte streng. Fela wischte sich sofort das Lächeln aus dem Gesicht und sagte »Ts, ts, ts«. Dann schoss er ein paar Fotos.
    Das SWR -Kamerateam hatte seine Aufnahmen schon im Kasten und packte bereits zusammen.
    Karina, die wusste, wann sie die maximale Medienpräsenz ausgeschöpft hatte, gab das Signal zur Beendigung der Aktion. Sie und Tayfun zogen ihre Oberkörper ins Innere des Keckenturms zurück.
    Gleich darauf schaute ein Streifenpolizist aus dem Fenster des Barocksaals und rief: »Es gibt nichts mehr zu sehen, Leute. Gehen Sie weiter.«
    Die Menge der Schaulustigen löste sich auf.
    Konzi schob den Leiter des Museums zur Tür. »Hängen, hängen!«, rief er dabei lauthals, was einen im Eingangsbereich des Museums stehenden Polizisten dazu veranlasste, ihn um das Vorzeigen seiner Papiere zu bitten.
    Konzi seufzte. Alle Welt hatte sich gegen ihn verschworen.
    Aus dem

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