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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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von Bellingen.

14 : 14  Uhr
    Jede Dummheit findet einen, der sie begeht.
Tennessee Williams
     
    DIE KULTUR DARF NICHT STERBEN war auf dem Transparent zu lesen, das die Aktivisten aus dem Fenster des Barocksaals im Keckenburgturm hängten.
    Seifferheld legte den Kopf in den Nacken und seufzte. Nicht, weil er bei diesem Spruch automatisch an
Serengeti darf nicht sterben
denken musste, sondern weil – man musste fast »natürlich« sagen – seine Nichte Karina zu den Aktivisten zählte. Ihr Motto lautete offenbar: Wenn eine eine Dummheit macht, dann kann sie was erleben. Und Karina hatte allein in diesen zwölf Monaten, die sie nun schon bei ihm im Haus wohnte, genug erlebt, um eine 300 -Seiten-Autobiographie zu schreiben.
    Die Seifferhelds wohnten direkt neben dem Hällisch-Fränkischen Museum, zu dessen Gebäudekomplex der in staufischer Zeit errichtete Keckenturm gehörte. Seifferheld hatte aus seinem Fenster den Beginn der Turmbesetzung miterlebt, als er gerade mit seiner Haftpflichtversicherung telefonierte und sich nach der Schadensregulierung bei Klebehandabdrücken auf Fremdwänden sowie Erbrochenem auf echten Perserteppichen erkundigte. So schnell es seine Gehhilfe eben erlaubte, war er nach draußen geeilt, um noch verhindernd einzugreifen. Doch die Museumstüren waren bereits geschlossen gewesen.
    Baden-Württemberg war nicht mehr das saubere Ländle, in dem an jeder Ecke ein Goldesel stand – Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Schweinegrippeimpfstoffkrise hatten ihre Spuren hinterlassen. Und auch Schwäbisch Hall war keine reiche Stadt mehr. Also, im Vergleich zu einer Kleinstadt wie Kumgang in Nordkorea natürlich schon, aber nicht im Vergleich zu Schwäbisch Hall vor zwanzig oder auch noch vor zehn Jahren. Es musste überall und an allem gespart werden, und jetzt traf es auch die Kultur.
    Klar, denkt der Laie, Kultur ist Luxus. Es geht auch ohne.
    Mitnichten, wendet der Kulturschaffende ein, Kultur macht die Menschheit erst aus. Ohne Kultur sind wir wilde Tiere. Kultur ist der Leim, der die Gesellschaft zusammenhält. Kultur bringt Freude ins Leben der arbeitenden Bevölkerung.
    Geld gibt’s nicht mehr, erklärten dennoch Oberbürgermeister und Gemeinderat, und so krebsten diverse Vereine am Tellerrand der Existenz und drohten, hintenüberzukippen. Die Marionettenbühne, die Malerscheune, sogar die Kunstakademie – überall sah es zappenduster aus.
    Wer die Haller kennt (die Haller aus Hall am Kocher, nicht zu verwechseln mit den Hallensern aus Halle an der Saale), der weiß, dass sie sich nicht so leicht unterkriegen lassen (die Hallenser zweifellos auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte). Folglich schnürten die Haller Kunstschaffenden den Gürtel enger, gingen potenzielle Sponsoren noch aktiver an und schworen sich, weiterzumachen – komme, was wolle. Die meisten taten das still und leise und ohne großes Aufsehen. Aber einige wenige wollten auf die Nöte der Künstler mit dem medialen Vorschlaghammer aufmerksam machen.
    Und wie immer, wenn es in Schwäbisch Hall ein spektakuläres Aktivistenhappening gab, war Karina mittendrin.
    »Karina, du kommst da sofort runter!«, bellte Irmi, die gerade vom Einkaufen kam, den Auflauf vor dem Museum sah, sich neugierig heranpirschte und sich neben Seifferheld aufbaute. »Siggi, tu was!«, bäffte Irmi ihren Bruder an.
    Bislang waren Karinas Dummheiten nur im
Haller Tagblatt
erschienen, allenfalls noch in verkürzter Form in der Südwestpresse, beides keine Foren, bei denen man sich wirklich Sorgen machen musste, dass Name und Ruf in bedenklich großem Radius geschädigt würden. Aber zufällig war der SWR mit einem Kamerateam in der Stadt anwesend – eine neue Folge von
Schätze des Landes
sollte gedreht werden –, und der Einzugsbereich des SWR war eine unabschätzbare mathematische Größe. Per Satellit konnte die ganze Welt von dieser Peinlichkeit erfahren.
    »Ist schon gut, Irmi, sie sind maskiert. Außer uns weiß keiner, dass Karina dabei ist«, tröstete Seifferheld, der die Befürchtungen seiner Schwester durchschaute.
    »Ach nein? Ach nein? Sie hat mit Leuchtfarbe ihren Namen auf ihre Skimaske gemalt!«
    Das war allerdings richtig.
    Ein gewiefter Verteidiger hätte vor Gericht sicher eingewendet, dass jeder KARINA auf die Mütze hätte schreiben können, um den Verdacht von sich abzulenken, aber unter der Skimaske lugten auch Karinas derzeit leuchtend orange gefärbte Haare hervor, und in der Mundaussparung sah man Karinas

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