Nadel, Faden, Hackebeil
tauchte auf.
Konzi stieß Seifferheld mit dem Ellbogen an, weil er glaubte, seine Schwägerin, die gerade der Kellnerin zu verstehen gab, dass für die Gäste zwar 0 , 1 Liter pro Sektflöte reichten, für sie selbst jedoch nicht, würde das nicht bemerken. Und es auch nicht hören, als er Seifferheld ins Ohr flüsterte: »Das da drüben, das ist sie. Die Geliebte meines Bruders. Die habe ich gemeint.«
Aber Sissi von Bellingen hörte es natürlich doch und wirbelte herum.
»Fippa?«
»Sissi?«
Fippa von Sölln trat ahnungslos näher. Waren ihre Augen nicht rot verweint?
»Fippa, hast du mit meinem Mann gevögelt?«, brüllte Sissi, die in Momenten großer Erregung ihre mühsam antrainierten feinen Manieren schlichtweg vergaß.
»F-F-Fippa?«, rief eine wandelnde Aknenarbe am Fenster, bei der es sich, was Seifferheld (noch) nicht wusste, um Fippas stotternden Verlobten Rudolf handelte.
Auf einen Schlag verebbten sämtliche Gespräche im Salon.
Stille senkte sich über den Raum.
Bei Tsunamis ist es ebenso. Erst tritt ein Moment tiefer Ruhe ein, bei dem sich das Meer zurückzieht. Und dann kommt die Flutwelle. Mit Macht. Und Lärm.
»Fippa, was hat Konzi da gerade gesagt?«, kreischte Sissi.
Fippa hob die Augenbrauen. »Ich habe es akustisch nicht verstanden, du Liebe. Hallo, Konstantin, was sagtest du gerade?«
Konstantin sagte: »Äh …«
Seifferheld bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Mozes mit klebrigen, essensrestbeschmierten Patschhändchen Muster auf die geweißelte Wand unterhalb des Swiridoff-Porträts klatschte. Aber es galt, Prioritäten zu setzen.
»Hast du nun mit meinem Mann gevögelt oder nicht?«, verlangte Sissi von Bellingen lautstark zu wissen.
Die Anwesenden – Bezahlkellner inklusive – strahlten. Entertainment pur.
Seifferheld räusperte sich. »Ich dachte, Herr von Bellingen war mit … äh … Kiki Runkel … äh … liiert. In ihrem Laden habe ich auch diesen Siegelring gefunden. Aber die eingravierten Initialen lauten PS .«
Fippa stand wie erstarrt. Das plötzliche Weiß ihrer Wangen ließ das Anthrazit ihres Kleides fast schwarz wirken.
»P-P-P … S-S-S?«, flüsterte Rudolf.
Sissi schüttete Fippa ihren Champagner ins Gesicht. »Schlampe.«
Konstantin blickte entschuldigend drein. »Oops, das wollte ich nicht.«
Mit einem Stofftaschentuch, das sie sich aus dem Ärmel fischte, wischte sich Fippa den Schampus aus dem Gesicht. Ihr Mascara zog dabei Schlieren. »Ja, ich, Philippa von Sölln, habe mit deinem Mann geschlafen. Und weißt du was? Lambert hat mich geliebt!«
»Dich? Dass ich nicht lache!«, höhnte Sissi. »Schau dich doch an. Selbst diese Proleten-Kiki sah besser aus als du.«
Fippa wahrte Haltung. »Es geht nicht immer nur ums Aussehen, Sissi. Liebe wurzelt in Herzenswärme.«
»Gott, die Liebe. Mir kommen gleich die Tränen.« Sissi stürmte aus dem Raum.
Die Gäste ließen sich Schampus nachgießen. Die Bezahlkräfte tranken mit.
Rudolf von Sölln sah aus, als wolle er sich am liebsten mit jemand duellieren. Er sah Konzi an.
»Fährt da gerade ein Auto vor?«, rief Konzi rasch. »Ich sehe mal nach.« Weg war er.
»Frau von Sölln, ich muss Sie das fragen«, sagte Seifferheld. »Haben Sie Katharina Runkel umgebracht?«
Fippa sah ihn aus ihren rotgeweinten Augen an. »Aber nein. Ich war nur kurz bei ihr im Laden, um mich zu erkundigen, ob es Zierkissen mit Hall-Motiven gibt. Außer ihr haben wir in der Stadt ja keinen gutsortierten Souvenirladen, und Zierkissen sind immer ein passendes Geschenk, finde ich. Aber sie hatte keine.«
Seifferheld seufzte. Wäre der Mord nur vier Wochen später geschehen, der Frau hätte geholfen werden können. Insgeheim merkte er sie sich als künftige Zierkissenabnehmerin vor. Falls sie nicht wegen Mordes – oder gar Doppelmordes – an einen Ort gebracht wurde, an dem es keine Zierkissen gab.
»Sie wollten sich nicht Ihrer Rivalin entledigen?«
Fippa schüttelte den Kopf. Champagnertropfen flogen ihr von der Nase und vom Kinn. »Wozu denn? Lambert war so ein viriler Prachtkerl. Er hatte genug Leben und Liebe für uns alle. Und ich habe ihn gern geteilt.«
Rudolf von Sölln fiel lautlos in Ohnmacht.
Irgendwo draußen hörte man den schrillen Aufschrei einer in ihrer Ehre tiefgekränkten Frau.
Mozes zupfte Seifferheld am Anzugärmel und sagte: »Onkel Siegfried, mir ist nicht gut.« Gleich darauf erbrach er eine Lache aus Eis und Häppchen vor dem schleifengeschmückten Gedächtnisbild des Lambert
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