Nadel, Faden, Hackebeil
Hovawart-Schädel.
»Ich bin Mozes«, sagte Mozes, der einen angeborenen Instinkt für gute Manieren besaß. Dann drückte er seine eisverklebte Rechte in die frisch manikürte Hand von Konstantin von Bellingen. Der Instinkt war noch ausbaufähig.
Seifferheld wollte Mozes in ein Badezimmer lenken, aber da sah er durch die geöffnete Tür zum Salon die trauernde Witwe neben einem mit einer schwarzen Schleife verzierten Foto ihres Mannes stehen. »Nichts anfassen!«, sagte er streng zu Mozes.
Dann trat er auf Sissi von Bellingen zu.
»Mein aufrichtiges Beileid, Frau von Bellingen.« Seifferheld küsste ihr die Hand. Ein Mietdiener nahm ihm die Blumen ab. Der Salon sah bereits aus wie die Chelsea Flower Show.
»Sehr freundlich, Herr …«
»Seifferheld, Siegfried Seifferheld.«
Das Händeküssen war nicht typisch hallerisch, in Hall wahrte man eher pietistisch Abstand zu den Körperteilen anderer Menschen, vor allem von Menschen des anderen Geschlechts. Seifferheld hatte das Luftküssen über dem weiblichen Handrücken aus dem Fernsehen. Aber weil er es mit selbstverständlicher Bravour vollzog, kam es immer gut an. Auch in diesem Fall.
»Bitte, trinken Sie doch ein Glas Champagner mit mir. Auf Lambert …« Sissi von Bellingen winkte einer weiteren Bezahlkraft, die ein Silbertablett in der Hand hielt.
In dem Salon – mit verglaster Seitenfront und herrlichem Blick auf den Einkorn, den Haller Hausberg, in sonnenbeschienener Ferne – befanden sich noch etwa ein Dutzend Personen mittleren Alters, die Seifferheld nicht kannte. Die meisten plauderten an den beiden Stehtischen in der Ecke mit dem Swiridoff-Foto. Der Fotograf Paul Swiridoff, einer der bekanntesten Haller Bürger, hatte in den späten neunziger Jahren ein Schwarzweißporträt von Lambert von Bellingen gemacht, das die Aufgeblasenheit des Verstorbenen trefflich zutage brachte. Aber auf den ersten Blick sah man natürlich nur einen Mann im feinen Zwirn. Lambert war bestimmt stolz auf das Foto gewesen. Wer der Aufnahme jedoch einen zweiten Blick gönnte, meinte förmlich das laute Zischen der entweichenden Heißluft zu hören.
»Was für ein Verlust«, sagte Seifferheld und meinte es auch so, weil es grundsätzlich um jeden Menschen schade war. Er prostete der Witwe zu.
Sie lächelte nur milde und kippte ihr Glas auf ex.
Mozes hatte mittlerweile die Kellnerin mit dem Häppchentablett entdeckt und langte kräftig zu. Er konnte alles verschlingen wie ein Gartenhäcksler. Als ob es kein Morgen gäbe. Gefüllte Pilze, gefüllte Eier und Garnelen verschwanden in seinem Mund.
Seifferheld wandte sich wieder der Witwe zu. Sie war ein Traum in schwarzer Seide. Trug keinerlei Schmuck, außer einer Perlenkette. Auch keinen Ehering.
Seifferheld zog sein Mitbringsel aus der Hosentasche. »Das ist nicht zufällig
Ihr
Siegelring?«
Sissi warf nur einen kurzen Blick darauf. »Nein.«
»Es ist der Siegelring derer von Bellingen. Und es ist der Ring einer Frau.«
Sissi lächelte maliziös. »Sie kannten meinen Mann offenbar nicht besonders gut. Diesen Ring pflegte er all seinen Mätressen zu schenken. Als Erinnerung. Sie werden bemerken, dass es eine billige Kopie ist. Mein Siegelring ist aus Echtgold mit Lapislazuli. Den da muss eine seiner Gespielinnen verloren haben.«
Seifferheld betrachtete den Ring in seiner Hand. War es etwa doch der Ring von Kiki Runkel, der ihr vom Finger gerutscht war? »Das störte Sie weiter nicht? Dass Ihr Mann andere Frauen hatte?«
»Oh, ich bitte Sie, kommen Sie mir jetzt nicht mit kleinbürgerlichen Moralvorstellungen. Unsere Ehe war ein Arrangement der Vernunft, keine Hollywoodschnulze mit dem rührseligen Versprechen von ewiger Liebe und Treue.« Sissi winkte die Kellnerin mit dem Champagnertablett wieder zu sich. »Wenn Sie wissen wollen, welchem seiner Betthäschen der Ring gehört, dann schauen Sie sich die Gravur an. Er hat immer die Initialen seiner Gespielinnen eingravieren lassen.«
Seifferheld drehte den Ring ins Licht. Tatsächlich, zwei Buchstaben. Aber nicht KR , wie er erwartet hatte, sondern PS .
PS ?
Wie in
P. S. – ich liebe dich?
Oder ein weibliches Pferdestärkenmodell?
Konzi von Bellingen, der seine Türsteherpflichten für eine kleine Trinkpause unterbrach, kam auf ihn zu. Zweifellos, um ihn zum Kauf weiterer Konzi-Originale zu nötigen.
Auf der anderen Seite des Raumes öffnete sich in diesem Augenblick eine Tür, und eine mausgraue Person in einem langweiligen anthrazitfarbenen Etuikleid
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