Nadel, Faden, Hackebeil
Seifferheld mochte Klaus sogar sehr. Aber Klaus war eine elende Plaudertasche – wenn er mal nicht die undichte Stelle gewesen war, die überall herumerzählt hatte, dass Seifferheld gern stickte –, und außerdem war Klaus tierisch neugierig. Er sollte nicht erfahren, dass sich Seifferheld für die Morde an Lambert von Bellingen und Kiki Runkel interessierte. Also vollführte er einen Augenbrauentanz.
Doch er hätte sich keine Sorgen machen müssen: In Klausens Gehirn – will heißen, in die schätzungsweise zwei, drei aktiven Gehirnzellen, die er besaß – war der Blitz eingeschlagen. Frau Denner besaß eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Mimi, seiner aufblasbaren Gummipuppe. Nur dass Frau Denner lebendig war und noch dazu eine melodische Stimme ihr Eigen nannte und ein Lachen, bei dem es Klaus durch und durch ging. So unauffällig wie möglich fischte er nach seinem linken Schuh und streifte ihn sich über. Dann richtete er sich kerzengerade auf und schaute männlich. Wie Sylvester Stallone. Oder Bruce Willis. Nur männlicher.
»Setzen Sie sich doch zu uns«, bat er eifrig.
Frau Denner schüttelte den Kopf, als die Kellnerin an den Tisch trat. »Ich muss gleich weiter.« Sie wühlte ein wenig in ihrer
Free-Tibet
-Jutetasche. »Hier, das wollte ich Ihnen geben.« Sie reichte Seifferheld einen braunen DIN -A 4 -Umschlag und sagte zu Klaus: »Wir tauschen … äh … Sudoku-Rätsel aus.« Sie zwinkerte erst Seifferheld, dann Klaus zu und meinte lächelnd zu Letzterem: »Sie haben Croissantkrümel auf dem Kinn. Ist das ein Versehen, oder proben Sie für eine Rolle als Sesamstraßenkrümelmonster?«
Klaus kicherte, wobei ihm besagte Croissantkrümel mehrheitlich vom Kinn rutschten.
Frau Denner schien das lustig zu finden. »Na, ich muss dann los. Auf Wiedersehen, die Herren. Mein Bus fährt gleich.«
»Warten Sie«, rief Klaus und sprang auf, »ich helfe Ihnen tragen.« Er nahm ihr die leere Jutetasche ab.
Hätte Seifferheld etwas sagen sollen? Hätte er mit raschem Eingreifen das Schlimmste verhindern können? Aber er saß nur bass erstaunt und sah den beiden nach. Dass Klaus sofort auf Frau Denner abfuhr, war nachzuvollziehen. Aber was sah die reizende Frau Denner nur in Klaus?
Die Kellnerin stand urplötzlich hinter ihm und fragte: »Zahlen Sie für den Herrn mit?« Sie legte ihm die Rechnung vor, bei der Klausens Extrawünsche enorm zu Buche geschlagen hatten. Am liebsten hätte Seifferheld mit der Stimme von Marcel Reich-Ranicki gerufen: »Ich nehme diesen Preis nicht an!« Zumal er nur einen Zehner dabeihatte, weil der für Kaffee, Most, Ei und Brezel absolut ausgereicht hätte, nicht aber für eine Luxusschlemmerei à la Klaus mit lauter Extraportionen.
Noch während er überlegte, wie dieses Dilemma zu lösen war, klingelte sein Handy.
»Onkel Siggi!« Es war Karina. Sie klang ernst. »Du musst sofort nach Hause kommen!«
Ca. 10 : 00 Uhr
Seele des Hundes, Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Hundes, Wie gleichst du dem Wind!
frei nach Johann Wolfgang von Goethe,
der Hunde nicht ausstehen konnte –
(aber er war ja auch nie einem Hund wie Onis begegnet …)
Seifferheld hatte natürlich mit dem Super- GAU gerechnet: Haus endgültig abgefackelt oder weggespült oder in die Luft gesprengt. Karina vom Bundesgrenzschutz nach Guantanamo verschleppt.
So schnell es ihm seine Gehhilfe erlaubte, war er die kurze Strecke vom Marktplatz zur Unteren Herrngasse gelaufen, Onis hinter sich herziehend. Der Kellnerin hatte er noch zugerufen »Ich lasse anschreiben« – so was ging auch nur in einer Kleinstadt, wo jeder jeden kannte. Trotzdem hätte das nicht jeder rufen dürfen. Einem Ex-Kommissar glaubte man aber, dass er seine Rechnungen begleichen würde.
Kurz darauf stürzte Seifferheld in die Seifferheldsche Küche, Lebensmittelpunkt des Clans.
»Was ist?«, rief er. Dumpfe Ahnungen pressten seinen Brustkorb zusammen.
Am Küchentisch saßen Karina und ein fremder Mann. Das war ja per se nichts Neues.
»Da bist du ja, Onkel Siggi. Darf ich vorstellen: Dr.Honeff.«
Seifferheld atmete schwer. Noch ein Arzt? Eine Zweitmeinung zur Brustvergrößerung? Oder eine andere Baustelle? Wollte sie sich klonen lassen, damit sie noch mehr Chaos und Verdruss auf diesem Planeten verbreiten konnte?
»Karina, du hast gesagt, es sei dringend. Ich bin von einem Notfall ausgegangen!« Seifferheld klang ungnädig.
»Es ist ja auch ein Notfall. Onis hat seit Tagen nicht gefressen und ist ständig
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