Nadel, Faden, Hackebeil
niedergeschlagen. Ich habe Angst, dass er in eine irreversible Depression fällt.« Eigentlich hatte Karina nur Angst, dass ihre neueste Eskapade – wenn es auch die von Mozes war – vorzeitig ans Licht kommen könnte, darum hatte sie einer spontanen Eingebung folgend das Telefonbuch aufgeschlagen und Honeff gefunden. Ein Wink des Schicksals!
»Du hast einen Tierarzt
ins Haus
kommen lassen?« Seifferheld musste an die exorbitanten Hausbesuchszuschläge denken. Er war kein Knauser. Für das Wohl seiner Lieben war ihm nichts und niemand zu teuer. Aber doch immer mit Vernunft und im richtigen Rahmen.
»Dr.Honeff ist kein Tierarzt, er ist Hundepsychiater.«
Honeff – ein mittelalter Mann von mittlerer Größe in einer beigefarbenen Strickjacke und mit einem Klemmbrett – war zwischenzeitlich aufgestanden und vor Onis in die Knie gegangen.
»Guten Tag, Aeonis vom Entenfall«, sagte er. Zu Seifferheld gewandt, meinte er: »Es ist wichtig, dass ich den Hund mit seinem vollen Namen anspreche. Dann fühlt er sich in seiner Persönlichkeit wahrgenommen.«
Seifferheld nahm gerade auch etwas wahr. Nämlich die absolute Lächerlichkeit dieser Situation.
»Hundepsychiater?«, wiederholte er. Seine Mundwinkel zuckten. Er fand Seelenklempner ja schon für Menschen bedenklich. Sein Allheilmittel für alle Probleme der Seele waren lange Spaziergänge an der frischen Luft. Und davon hatten er und Onis genug.
»Ich sehe deutlich, dass den Hund etwas quält«, verkündete Hundepsychiater Honeff. »Gut, dass ich einen Fragebogen vorbereitet habe.«
»Für Onis?« Seifferheld konnte sich kaum noch beherrschen.
Honeff blieb ungerührt. Er war Kummer gewohnt. »Nein, für Sie, den Halter. Und für so viele Familienmitglieder wie möglich. Wollen wir uns setzen?«
Einen Moment lang blieb Seifferheld unschlüssig stehen, dann entschied er sich doch, den Hundeheini nicht zu brüskieren. Außerdem wurde Honeff zweifelsohne pro Stunde bezahlt, da würde er die restlichen 55 Minuten auf jeden Fall absitzen.
»Gehören nicht noch mehr Personen zu diesem Haushalt?«, erkundigte sich Honeff. »Onis hat einen akuten Depressionsschub. Das könnte auf jeden der hier Wohnenden zurückzuführen sein.«
»Es ist so …«, fing Karina an, da ging die Küchentür auf, und Irmi trat ein.
»Wo kommst du denn her?«, verlangte Seifferheld streng zu wissen. Er war zwar der Jüngere, und noch dazu ging es ihn nichts an, aber ein so unerhörtes Vorkommnis durfte nicht unkommentiert bleiben. »Du bist über Nacht weggeblieben! Und wie siehst du überhaupt aus?«
»Jetzt gönn Tante Irmi doch ihr Abenteuer. Bist du in Stuttgart versackt?« Karina freute sich. Natürlich glaubte sie in ihrer jugendlichen Naivität, dass Tante Irmi bei einer Einkaufspause zu viel Eierlikör gezwitschert hatte und im Vollrausch den Bahnhof nicht mehr gefunden hatte. Nur durch völliges alkoholbedingtes Weggetretensein ließ sich auch erklären, dass Tante Irmi sich den Zopf hatte abschneiden lassen. »Echt, du siehst klasse aus!«
Den wahren Grund für ihr Fernbleiben erriet keiner, auch ihr Bruder nicht. »Irmi, also ehrlich, wir haben uns Sorgen gemacht. Ich sah dich schon mit einem Schlaganfall auf der Intensivstation des Marienkrankenhauses.«
Irmi warf den Hausschlüssel in die Schüssel auf der Anrichte, knöpfte ihren Mantel auf und sagte nichts. Also, sie sagte nichts zu den Kommentaren, sehr wohl jedoch äußerte sie sich zur Anwesenheit von Honeff, den sie mit eisigen Blicken durchbohrte. »Wer ist der fremde Mann in meiner Küche?«
»Das ist Dr.Honeff. Er ist Hundepsychiater und wird uns sagen, was mit Onis nicht stimmt«, erläuterte Karina. »Dr.Honeff, das ist meine Tante Irmgard. Sie wohnt auch hier.«
Honeff fröstelte unter Irmis Blick und sah aus, als sei ihm plötzlich klar, warum der Hund deprimiert war.
»Mit Onis ist alles in Ordnung, bei euch stimmt etwas nicht«, erklärte Irmi und traf damit den Nagel auf den Kopf. Was die anderen natürlich anders sahen.
»Wenden wir uns doch meinem Fragebogen zu, dann erhalten wir schon eine erste Klärung«, versuchte Honeff zu schlichten. »Die erste Frage lautet: Wenn das Leben von Onis verfilmt werden würde, welcher Hund sollte dann Ihrer Meinung nach seine Rolle spielen?«
»Lassie!«, rief Karina sofort.
»Irgendein anderer Hovawart«, brummte Irmi und setzte Kaffeewasser auf.
»Was denken Sie, Herr Seifferheld?«, fragte Honeff, nachdem Seifferheld eine Weile mit gekräuselter Stirn
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