Nadelstiche
Schließlich legte sie auf. Sam und Jake blickten sie erwartungsvoll an.
»Im Chelsea-Pflegecenter arbeitet niemand namens Tracy.«
26
Jake hatte Manny mit ihren Sorgen um den vermissten Mandanten und dem Rätsel, wer sie für den Fall vorgeschlagen hatte, allein gelassen und sich in die dunkle Höhle seines Büros zurückgezogen. Er hatte sämtliche Vorschläge Mannys abgelehnt, den Raum ein bisschen aufzuhübschen. Schwarze Ledersessel, alte gerahmte Drucke, Glasvitrinen auf Mahagoniständern – alles war abgeschmettert worden.
Er mochte den Raum so und nicht anders. Er brauchte keine angenehme Umgebung, um sich zu konzentrieren, was für Manny unbegreiflich war. Das Einzige, was er wirklich benötigte, war Vertrautheit – die beruhigende Gewissheit, dass jedes Instrument, jeder Beleg, jede Quelle, einfach alles, was er möglicherweise brauchen könnte, mit einer Drehung seines altersschwachen Schreibtischsessels erreichbar war.
Für einen Besucher sah das Büro hoffnungslos chaotisch aus. Aber Jake konnte in einen Stapel vermeintlich wahllos aufgehäufter Unterlagen greifen und genau das herausziehen, was er haben wollte. Für ihn war ein Aktenschrank das Äquivalent zum Papierkorb.
Heute saß Jake inmitten einer Lawine von Informationen über den Vampir und machte sich mit seiner fürchterlichen Klaue, die nur er allein entziffern konnte, Notizen auf einem Block. Eine kurze Liste von Fragen, die er beantwortet haben wollte, erschien auf der Seite.
1.Kaffeetasse mit Nixons Fingerabdruck … im Besitz von Amanda Hogaarth oder vom Täter zurückgelassen? Wie und wo erworben? Warum?
2.Family Builders – gibt es Verbindung zwischen dieser Adoptionsagentur und Hogaarth?
3. Hogaarth und Fortes – warum gefoltert und ermordet? Was unterscheidet sie von den vorherigen Opfern?
4.Welche Bedeutung hat das Blut?
Die Sprechanlage summte. »Ridley ist hier. Er möchte Sie sprechen«, erklärte die Abteilungssekretärin.
»Schicken Sie ihn rein.«
Als Paul Ridley eintrat, musste er den Kopf einziehen, um durch den zwei Meter hohen Türrahmen zu passen. Er war groß und dünn und entsprach überhaupt nicht der Vorstellung, die sich wohl die meisten vom führenden Spurensicherer der New Yorker Kriminaltechnik gemacht hätten. Ridley sah aus, als wäre er von einem fehlerhaften Computeranimationsprogramm gepackt, in die Länge gezogen und dann wieder in die Gesellschaft entlassen worden.
»Setz dich«, sagte Jake. »Wirf das Zeug da einfach auf den Boden.«
Ridley klappte seine hagere Gestalt zusammen und nahm Platz. »Ich hab Informationen über die Kaffeetasse aus Hogaarths Wohnung.«
Jake grinste. Vielleicht könnte er gleich den ersten Punkt auf seiner Liste streichen. »Ich weiß, dass die vom FBI das Beweisstück unbedingt in Verwahrung nehmen wollten. Ich hatte schon Angst, du könntest nicht viel herausfinden, ehe du die Tasse rausrücken musst.«
»Ja, kann sein, dass wir sie im Laufe des Tages abgeben müssen, aber ich glaube, ich hab, was du wolltest.« Ridley zog eine Mappe aus seiner Aktentasche und konsultierte seine Notizen. »Die Tasse war aus minderwertigem, schwarz glasiertem Porzellan, mit dem silbernen Aufdruck SCFR. Herstellerstempel auf dem Boden lautete ›Cayo‹. Wir konnten sie zu einem Lieferanten in der Umgebung von Boston zurückverfolgen, der Tassen en gros von einem Hersteller in China kauft und sie dann für Kunden bedruckt, die sie als Werbegeschenke verteilen.« Er zeigte auf eine blaue Tasse voller Stifte auf Jakes Schreibtisch, auf der in roten Lettern der NAME LABTECH stand. »Wie die da – die hast du wahrscheinlich von einem Vertreter für Laborgeräte, richtig?«
Jakes zufriedenes Lächeln wurde schwächer. »Allein hier in den USA werden Jahr für Jahr zig Millionen Tassen als Werbegeschenke verteilt. Willst du mir etwa erzählen, du weißt, wie unsere Tasse in die Hände von Präsident Nixon gelangt ist?«
Ridley blickte Jake über die Nickelbrille hinweg an, die auf seiner spitzen Nase saß. »Ahm … ja.«
Jake schlug klatschend auf seinen Schreibtisch. »Ridley, versteh mich nicht falsch, aber ich liebe dich.«
Ridley hüstelte. »Ja, äh, also, wir haben die chemische Zusammensetzung der Glasur analysiert, wodurch wir die Tasse einem Zeitraum von zehn Jahren zuordnen konnten, in dem der Hersteller, Cayo, diese spezielle Glasur verwendet hat. Dieser Zeitraum, 1975 bis 1985, liegt nach Nixons Rücktritt, aber bevor sein Gesundheitszustand sich verschlechterte.
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