Nadelstiche
wirklich niemals tun! Ich bin ein Star! Ich singe nicht als Dinnerbegleitung. Also hab ich Nein gesagt, und er hat die Gage auf fünfzehntausend erhöht.« Annabelle warf die Arme in die Luft. »In Europa oder hier in New York hätte ich das nie im Leben gemacht, aber eine italienische Diva, die in Argentinien auf einer Privatveranstaltung Arien singt … nun ja, das lockt nicht unbedingt die Paparazzi an. Außer bei den echten Argentiniern hab ich da nicht viel Aufsehen erregt. Da hab ich mir gedacht, keiner wird was davon erfahren. Und ich brauchte das Geld wirklich.«
»Also haben Sie gesungen. Wie war es?«
Annabelle schnitt eine Grimasse. »Ein grässlicher Abend!
Unkultiviert! Der General hat die ganze Zeit breit gegrinst, als würde ich für ihn strippen, nicht ›Un bei dì‹ singen. Und die anderen Festgäste« – sie ahmte mit ihren Händen plappernde Münder nach – »die haben ununterbrochen gequasselt, während ich sang. Ein Skandal!«
Jake versuchte, entsprechend entsetzt dreinzublicken. »Danke, dass Sie mir das erzählt haben, Annabelle. Sie waren eine große Hilfe.«
»Tatsächlich? Aber der General kann doch wohl nicht der Vampir sein. Er war nämlich alt und dick.«
»Nein, er ist nicht der Vampir. Ich glaube, Cintron könnte jemand sein, den der Vampir sogar noch mehr hasst, als Sie das tun.«
34
Wie ist es gelaufen?« Manny beäugte Kenneth, der am linken Arm seine eigene schrill mit Pailletten besetzte Velvetontasche balancierte und mit dem rechten Mycrofts Goyard-Tragetasche mit den Hundeinitialen darauf.
»Großartig! Dieser neue Tierarzt ist süß. Was für hinreißende braune Augen.«
»Versuchst du’s jetzt mit dem wissenschaftlichen Typ?«
»Ich dachte bloß, ich könnte ihn in den Club einladen, damit er mich – Kenneth Medianos Boyd – als Princess K Calypso erlebt.«
»Vergiss es. Er ist verheiratet.«
Kenneth wechselte Spielbein und Standbein, stemmte die Hände in die Taille und wackelte mit den Hüften. »Ist das von Bedeutung? Denk nur mal an Anthony Perkins und Rock Hudson.« Kenneths Augenbrauen wölbten sich vielsagend. »Neulich hab ich sogar das köstliche Gerücht gehört, dass Cary Grant bi gewesen sein soll.«
Manny mied es, Blickkontakt herzustellen, weil sie Kenneth nicht wieder zu einem seiner Lieblingsvorträge animieren wollte – dass nämlich jeder Mann auf dem Planeten insgeheim schwul war und nur auf den Richtigen wartete. »Fang nicht wieder so an. Wie geht’s Mycroft? Ist die Wunde verheilt?«
»O ja – alles bestens. Nicht wahr, mein Zuckerschnäuzchen?« Kenneth bückte sich und half Mycroft aus der Tragetasche. Der kleine Hund flitzte durchs Büro und sprang auf Mannys Schoß. »Der Arzt schien enttäuscht zu sein, dass du den Hund nicht selbst gebracht hast. Ich sag ja, die Ehefrau ist unerheblich.«
»Er hält mich bestimmt für eine Rabenmutter.« Manny streichelte Mycroft den lockigen Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren. »Den ersten Termin hab ich total vergessen, und den hier hätte ich auch verpasst, wenn ich dich nicht hingeschickt hätte.« Manny betrachtete den Aktenberg auf ihrem Tisch. »Ich ersticke in Arbeit. Ich kann hier erst weg, wenn ich die dreihundert lästigen Anfragen im Fall Greenfield beantwortet habe, die mir diese blöde Riesenkanzlei geschickt hat. Ist mal wieder typisch. Die kassieren Tausende von Dollar pro Buchstabe und versuchen, Gerechtigkeit unter Formalitäten zu begraben.«
»Ich bin sicher, Dr. Costello hat dafür Verständnis. Er wollte wissen, wie es dir geht, und er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass du nicht zu viel arbeiten sollst.« Kenneth griff nach einem Stapel Akten. »Ist die Beschwerde wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz in der Sache Conceicao so weit fertig?«
»Ja«, sagte Manny. »Aber du musst den Anhang noch in ein portables Dateiformat scannen, damit wir die Sache an das Sekretariat im Bundesgericht mailen können.«
»Hast du Lust, dir die Sonderangebote in der neuen Schuhboutique auf der Madison Avenue anzusehen?«
»Casa Bene del Sole? Das ist gemein! Mach mir nicht den Mund wässerig, wenn du genau weißt, dass ich unmöglich mitkommen kann.«
Kenneth streckte den Arm aus und klickte die To-do-Liste auf der Symbolleiste von Mannys Computer an. »Ach, komm schon. Ich könnte doch ein paar Sachen von der Liste übernehmen?«
»Lieb von dir Kenneth, aber ich glaube nicht –«
Kenneth unterbrach sie mit einem energisch vorgestreckten Arm und sah in dem Moment aus
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