Nadelstiche
des Briefes, den ich in seinem Zimmer gefunden hab. Vielleicht sind irgendwelche Leute aus der Vergangenheit seiner Eltern aufgetaucht, die sie unter Druck setzen. Vielleicht manipulieren sie Paco, um zu bekommen, was sie wollen.« Manny warf ihren Stift auf den Schreibtisch. »Verdammt, ich wünschte, ich hätte den Brief noch!«
Jake sagte nichts, spitzte nur die Lippen und ging weiter die Webseiten durch, die die Suchmaschine gefunden hatte.
»Ich weiß, was in deinem Kopf vor sich geht.« Manny klopfte mit den Knöcheln auf Jakes zerzaustes Haar. »Du denkst, ich sollte mich lieber auf diese Internetrecherche konzentrieren, anstatt Dingen hinterherzutrauern, die unerreichbar sind. Aber ich sage dir, wenn wir bloß rausfinden könnten, was die Sandovals verbergen, müssten wir hier nicht diese ganzen Informationsfetzen zusammenpuzzeln.«
Jake stockte, die Hände über der Tastatur. »Manny, das ist die beste Möglichkeit, etwas herauszufinden. Wir brechen nicht noch mal in ihre Wohnung ein.«
Manny schüttelte leicht den Kopf, als hätte sie das bereits in Erwägung gezogen, aber verworfen. »Nein, keine geheimen Operationen mehr, wo Paco doch jetzt weiß, wer wir sind. Aber ich hab im Gefühl, wenn ich den Jungen allein sprechen könnte, wirklich in Ruhe mit ihm sprechen könnte, würde er mir etwas Wichtiges sagen.«
»Warum sollte er?«, wandte Jake ein. »Wenn er damit seine Familie gefährdet?«
»Weil Paco inzwischen bestimmt klar geworden ist, dass er Travis in Gefahr gebracht hat. Paco ist kein übler Bursche – er muss Schuldgefühle haben, schließlich ist Travis sein Freund.«
»Woher willst du Pacos Charakter kennen? Du hast gerade mal fünf Minuten mit dem Jungen verbracht, und die Hälfte der Zeit hast du ihm am Hals gehangen, wortwörtlich.«
»Du würdest dich wundern, wie viele Einblicke man gewinnen kann, wenn man sich auf jemanden stürzt.« Manny grinste und ging in Angriffsstellung. »Soll ich’s dir beweisen?«
Jake wand sich in seinem Sessel. Warum hatte er immer, wenn er mit Manny zusammenarbeitete, so ein unsicheres Gefühl, als säße er in einem Skilift, ohne den Sicherheitsbügel geschlossen zu haben?
Es war erst Viertel nach neun – zu früh, um der Versuchung zu erliegen. Jake wusste, dass er locker noch drei oder vier Stunden weiterarbeiten konnte, nach Hinweisen suchen, die Akten erneut nach wichtigen Details durchsehen. Er erwiderte Mannys verführerischen Blick mit Zurückhaltung. »Merk dir, wo wir aufgehört haben«, sagte er und erwartete entweder einen Wutausbruch oder Enttäuschung.
Aber Manny lachte bloß. »Keine Bange – das vergess ich schon nicht.« Sie wandte sich ab und schaute sich im Büro um. »Sag mal, sosehr ich die Nähe zu dir genieße, wenn wir uns deinen Computer teilen, meinst du nicht, wir würden unsere Belohnung schneller kriegen, wenn wir getrennt marschieren und vereint schlagen? Gibt’s hier keinen anderen Computer, an dem ich recherchieren kann, während du hier weitermachst?«
»Klar. Du kannst Daves nehmen.« Er zeigte auf einen Schreibtisch gleich vor seiner Bürotür.
»Gut. Schrei, wenn du irgendwas Interessantes findest. Ich such derweil noch mehr über diese Protestorganisation der Mütter raus, die Madres de Plaza de Mayo.«
Bedauern mischte sich mit Erleichterung, als Jake ihr hinterhersah. Er konnte sich eindeutig besser konzentrieren, wenn er nicht Mannys Duft einatmete oder ihre weiche Haut berührte. Aber er mochte das Gefühl, sie ganz in der Nähe zu wissen, ihr jederzeit eine Idee zurufen oder sie nach ihrer Meinung fragen zu können.
Er widmete sich wieder seiner eigenen Arbeit, wandte sich vorerst vom Computer ab und schlug wieder einmal die Akten über die Opfer des Vampirs auf. Er war sie schon zigmal durchgegangen, aber es konnte nicht schaden, das jetzt, mit den neuen Informationen über General Cintron und den Schmutzigen Krieg, noch einmal zu tun.
Er hatte bereits versucht, erneut Kontakt zu den ersten vier Opfern aufzunehmen – die vor Annabelle Fiore, bei denen nur Blut abgenommen worden war, ohne sie zu verletzen – und sie zu fragen, ob sie irgendwelche Verbindungen zu Argentinien hatten. Opfer Nummer vier,Jorge Arguelles, war ein Tourist aus Chile und schien damit die engste Verbindung zu haben, aber er war wieder heimgereist, und Jake hatte ihn noch nicht erreichen können, um herauszufinden, ob er sich häufiger im benachbarten Argentinien aufhielt oder Freunde dort hatte.
Jake hatte nicht die Zeit
Weitere Kostenlose Bücher