Nadelstiche
wäre Jake nie in den Sinn gekommen, auch nur des Taktes wegen zu lügen.
Manny ließ sich auf den Rücken fallen und starrte zur Decke. »Wie nett, dass du versuchst, mich mit Bettgeflüster rumzukriegen. Welches Blut?«
»Das Blut, das der Vampir den Leuten abnimmt. Da hat er sich die ganze Mühe gemacht, die Proben zu bekommen, und dann lässt er sie einfach in der Wohnung in Brooklyn zurück.«
»Wahrscheinlich braucht er sie nicht mehr«, sagte Manny. »Wenn doch, hätte er sie doch leicht mitnehmen können.«
»Genau. Also wenn er Blutproben getestet hat, wie ich immer vermutet habe, dann hat er jetzt seine Ergebnisse. Was plant er als Nächstes? Was wird er mit diesen Informationen anstellen?«
»Ich weiß es nicht. Aber irgendwas hat er vor.«
Plötzlich schlug Jake so fest mit der Faust auf die Daunendecke, dass drei Federn in die Luft schössen. »Also ich werde nicht abwarten, bis er handelt. Ich will ihm einen Schritt voraus sein, ihm zuvorkommen.«
Manny war kurz davor gewesen, in einen seligen und dringend benötigten Schlaf zu sinken, aber mit Jake zusammen zu sein, wenn er so aufgeregt war, entsprach ungefähr dem Konsum von drei doppelten Espressos – und es war noch dazu ansteckend.
Auch sie setzte sich auf und blickte ihn über die zerwühlte Decke hinweg an. »Aber selbst mit dem, was wir jetzt wissen oder zumindest vermuten, sind wir noch keinen Schritt weitergekommen, was die Motive des Vampirs angeht. Und wenn wir die nicht kennen, wie sollen wir dann voraussehen, was er als Nächstes tut?«
Jake schwieg, starrte nur auf das scheinbar nichtssagende Muster ihres neuen reinweißen Seidenbettzeugs.
»Jake?«
Keine Antwort.
»Jake! Du weißt irgendwas und verschweigst es mir.«
Er fuhr zusammen, als würde er jetzt erst bemerken, dass er nicht allein im Bett war. »Ich verschweige dir nichts. Aber gerade eben ist mir was eingefallen.« Er packte Mannys Hände. »Wenn die Opfer eins bis vier Kinder von Los Desaparecidos sind und diejenigen, mit denen ich reden konnte, behaupten, keine Verbindung zu Argentinien zu haben, wie sind sie dann nach New York gekommen? Wer hat sie aus ihrem Heimatland geschafft? Wer hat sie aufgezogen?«
»Sie sind alle adoptiert«, sagte Manny, die von seiner Aufregung angesteckt wurde. »Aber sie kennen sich nicht untereinander … Vielleicht wissen sie nicht mal, dass sie adoptiert wurden. Die Adoptiveltern könnten ihnen ihre wahre Abstammung verheimlicht haben – sie sollten nicht erfahren, dass ihre leiblichen Eltern ermordet worden waren.«
»Vielleicht weil –«Jakes Griff um Mannys Hände wurde fester.
Sie machte große Augen. »Weil die Leute, die sie adoptiert haben, Schuld am Tod der Eltern trugen. Zur Junta gehörten. Warum sonst hätten sie die Adoptionen geheim halten sollen, wo doch heute alle so offen damit umgehen?«
»Adoption«, sagte Jake. »Wir haben gerade den Platz für ein weiteres Puzzlestück gefunden.«
»Diese Adoptionsagentur, Family Builders. Die müssen solche Adoptionen ermöglicht haben. Deshalb hat Ms Hogaarth ihnen ihr Geld vermacht.«
»Wir müssen mit der Leiterin sprechen.« Jake blickte sich suchend nach Mannys Telefon um.
Sie hob die Hand und zog ihn zurück. »Es ist halb vier Uhr morgens, Jake. Wir müssen noch ein paar Stunden warten.«
Er warf sich zurück in die Kissen und riss die Decke hoch bis unters Kinn. »Ich hasse warten.«
Manny schmiegte sich an ihn. »Ich auch.«
Zehn Minuten vergingen, ohne dass einer etwas sagte. Das einzige Licht im Raum kam vom Widerschein der Straßenlampen weit unten. Mycroft schnarchte leise.
»Schläfst du?«, fragte Manny.
»Nein.«
»Mein Kopf kommt nicht zur Ruhe.«
»Meiner auch nicht.«
»Eigentlich gibt es dafür nur ein Gegenmittel«, sagte Manny.
Jake schob ein Bein über die Bettkante. »Du hast recht. Ich kann genauso gut aufstehen und ins Büro gehen.«
Manny schlang die Arme um seinen Hals und riss ihn zurück. »Nein! Das nicht!«
»Oh«, sagte er, als er begriff. »Stimmt, das funktioniert auch.«
»Das predigst du mir doch andauernd«, murmelte Manny. »Immer für alle Möglichkeiten offen sein.«
37
Wir haben nie internationale Adoptionen abgewickelt«, sagte Lydia Martinette.
Jake saß gegenüber der Leiterin der Adoptionsagentur Family Builders, in einem Büro, dessen Wände Fotos von glücklichen Familien und goldigen Kinderzeichnungen zierten, die allesamt eine gnadenlose Fröhlichkeit verströmten. Unzufrieden mit der Antwort, die er
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