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Nadelstiche

Nadelstiche

Titel: Nadelstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baden & Kenney
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gehabt, alle Opfer aufzusuchen, wie er das bei Annabelle getan hatte. Am Telefon hatten ihm die drei ersten Opfer versichert, keinerlei Verbindung zu Argentinien zu haben. Jetzt wünschte er, er hätte sich die Mühe gemacht, sie persönlich zu befragen, um sie genau beobachten zu können, während sie sprachen, auf ihre Atmung und Stimmhöhe zu achten, auf irgendwelche Anzeichen, dass sie die Unwahrheit sagten.
    Jake las seine Notizen durch. Opfer Nummer eins, Lucinda Bettis, hob sich von den übrigen ab. Die anderen Opfer hatten einen Moment über seine Frage nach Argentinien nachgedacht, ehe sie sie letztlich negativ beantworteten. Mrs Bettis hatte sie bereits verneint, als er sie kaum ausgesprochen hatte. Dann hatte sie das Telefonat hastig beendet und gesagt, sie müsse sich wieder um ihre Kinder kümmern. Da auch die anderen Opfer, mit denen er bis dahin gesprochen hatte, die Frage verneint hatten, waren bei Jake in dem Moment keine Alarmglocken losgegangen, aber jetzt nahm er sich ihre Akte genauer vor.
    Geboren 1977, verheiratet, zwei Kinder. Sie war am helllichten Tag in ihrer Wohnung auf der Upper West Side überfallen worden, während ihre Kinder in der Vorschule waren. Keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen. Sie gab an, sie hätte die Tür geöffnet, weil sie ihre Nachbarin erwartete, die ihr ein Dutzend Eier vom Markt mitbringen sollte.
    Wieder verglich er ihre Akte mit den anderen, suchte nach irgendeinem aussagekräftigen Detail, nach irgendwas, das sie entweder von den anderen abhob oder sie mit ihnen verband. Vergeblich.
    Im anderen Zimmer machte Manny lautstark ihrer Empörung Luft. »Um Gottes willen! Das ist ja schrecklich!«
    Manny zog zwei Seiten aus dem Drucker und kam laut lesend in Jakes Büro. »Hör dir das an: ›Unter der Junta, an deren Spitze bis 1981 Videla stand, später Roberto Viola und Leopoldo Galtieri, waren illegale Festnahmen, Folter und Mord ebenso an der Tagesordnung wie das erzwungene Verschwinden von Bürgern, die sich öffentlich gegen die Regierung äußerten. Kritikern zufolge belegen Dokumente, dass das brutale Vorgehen Argentiniens dem US-Außenministerium bekannt war, das sowohl unter Nixons als auch Gerald Fords Präsidentschaft von Henry Kissinger geleitet wurde.*«
    Manny blickte auf. »Ist das nicht ungeheuerlich? Nixons und Kissingers Außenpolitik dauerte bis lange nach Nixons Rücktritt an. Und das ist nicht alles.« Manny las weiter vor, und ihre Stimme wurde mit jedem grässlichen Verbrechen – heimliche Verhaftungen, Folter, Verstümmelung, Mord – der argentinischen Regierung zorniger und lauter.
    »Lies das Letzte noch mal vor.« Jake unterbrach sie mitten im Satz.
    »›Viele Leichen wurden nie gefunden, weil sie aufs Meer hinausgebracht und vor der Küste versenkt wurden‹«, wiederholte Manny.
    »Nein, nein. Das davor.«
    Manny blätterte zurück auf die erste Seite, die sie ausgedruckt hatte. »›Die Regierung behauptet, dass neuntausend Menschen Opfer des erzwungenen Verschwindens wurden, aber die Großmütter auf der Plaza de Mayo schätzen, dass zwischen 1976 und 1983 fast dreißigtausend Dissidenten, Studenten und ganz normale Bürger verschwanden. Die höhere Zahl schließt Kinder mit ein, die zusammen mit ihren Eltern verschwanden, sowie Schwangere, die möglicherweise in Gefangenschaft Kinder zur Welt brachten.«
    Jake senkte den Kopf und begann, hastig die Akten auf seinem Tisch durchzusehen, in jeder etwas nachzuschlagen, ehe er zur nächsten griff.
    »Was? Was ist denn?«
    Jake blickte auf und sah Manny in die Augen. »Opfer Nummer eins, drei und vier wurden alle während des Schmutzigen Krieges geboren. Opfer Nummer zwei kam zwei Jahre davor zur Welt. Das ist es. Das ist die Verbindung. Diese Menschen sind alle Kinder der Desaparecidos.«

36
    Woran denkst du?«, fragte Manny. Sie und Jake lagen in ihrem Schrankbett, und Mycroft hatte es sich zu ihren Füßen gemütlich gemacht. Sie übernachteten nicht oft in ihrer Wohnung, obwohl Jake ihr winziges Apartment gemütlich fand: »Gibt mir das Gefühl, als würde ich in einem Sarg schlafen.«
    Manny rollte sich auf dem seidigen Laken herum und strich mit einem Finger an Jakes sehnigem Arm entlang. Täglich Leichen umzudrehen ist gut für die Muskulatur, dachte sie. Sie studierte die tiefen Furchen, die Jakes Gedanken dokumentierten. »Ich bin sicher, du denkst nur gerade, wie wunderbar es ist, hier bei mir zu sein, nackt und ungestört.«
    »Ich hab über das Blut nachgedacht.« Es

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