Nächte am Nil
Tobruk, der Stadt zwischen Meer und Wüste, erwartete man Brahms und seine kleine Truppe bereits. Die ›deutsche Kolonie‹ war fast vollzählig im Lagerraum einer Früchtehandlung versammelt, die einem Omar Hedhab gehörte, einem stolzen Araber, der vor zwanzig Jahren noch Fritz Heddenkamp geheißen hatte und aus Ibbenbüren stammte. Und wie dieser Omar waren auch die anderen: würdevolle Moslems, brave Familienväter, erfolgreiche Kaufleute oder Handwerker. Und doch Strandgut jenes Zweiten Weltkriegs, der keine Grenzen mehr gekannt hatte.
Hauptmann Brahms saß mit Birgit und Zuraida auf einer Art Podium. Hinter ihm stand als riesiges Monument der Nubier Baraf.
»Kameraden!« sagte Brahms. Und schon dieses eine Wort wirkte wie ein Funken. Kameraden … das sagte man in den vergangenen Jahren oft. Aber wie Brahms es in die Lagerhalle knallen ließ, das fuhr in die Glieder, es zuckte bis in die Fingerspitzen.
»Durch die Wüste, auf unsere Ostgrenze zu, zieht ein Deutscher. Allein mit zwei jungen Mädchen …«
»Mit denen wüßte ich was Besseres anzufangen!« rief jemand. Brüllendes Gelächter. Die Stimmung war da. Selten so gelacht …
»Er flüchtet zu uns, er will in die Freiheit. Aber wenn wir ihm nicht helfen, geht er vor die Hunde. Noch niemand hat die Wüste auf dieser Route durchquert. Wir müssen ihm entgegen. Und ich brauche euch, Kameraden. Wir haben früher zusammen die Cyrenaika bezwungen – sollen wir unseren Kameraden jetzt verrecken lassen, nur weil wir selbst sicher und fett über die Runden gekommen sind?« Brahms sah in die ›arabischen‹ Gesichter, in die braunen Gesichter mit den sorgsam gepflegten Bärten. »Ich brauche zwanzig Mann mit guten Kamelen, kriegsmäßig ausgerüstet. Und ich brauche einen Hubschrauber. Weiter nichts.«
»Weiter nichts«, rief jemand. »Als ob wir uns 'nen Hubschrauber aus dem Hintern schneiden könnten.«
»Ich weiß zum Beispiel«, sagte Hauptmann Brahms und lächelte breit, »daß hier in Tobruk ein Fieseler Storch eingemottet liegt. Jemand von euch pflegt ihn wie eine Nippesfigur. Kameraden, der tut es auch. Ich muß nur schnell sein; schneller als der Tod in der Wüste. Wenn ihr den Storch startklar macht …«
Schweigen in der Lagerhalle. Dann erhob sich ein ›Araber‹, schlug den Burnus enger um sich und verließ die Reihen der Versammlung. An der Tür blieb er stehen und drehte sich um.
»Det sag ick dir …«, rief er in bestem Berlinerisch, »wennste mit der Kiste abschmierst, mach ick Bouletten aus dir!«
Am Abend stand der Fieseler Storch startklar außerhalb Tobruks auf einem Fabrikgelände.
*
In der Nacht wachte Alf Brockmann aus seiner Ohnmacht auf. Aisha hatte ihm die dritte Seruminjektion gegeben und den Verband gewechselt.
Der Fuß war dick geschwollen und braunrot geworden. Aber was Aisha befürchtet hatte, war nicht eingetreten: Es zeigte sich kein Fortschreiten der Schwellung über das ganze Bein, es gab keine Atembeschwerden, die Glieder waren frei beweglich und nicht gelähmt, denn auch in der Bewußtlosigkeit bewegte sich Brockmann und zog manchmal Arme und Beine nahe an den Körper, um sich dann wieder in die gestreckte Lage schnellen zu lassen wie ein schwimmender, das Wasser von sich stoßender Frosch.
»Wo sind wir?« war seine erste Frage. Er hob den Kopf und starrte auf die Felsen. Er begriff nicht, wie es möglich war, daß nach tagelanger Weite und Glut nun plötzlich der Horizont nicht mehr zu sehen und unter ihnen kein Sand, sondern Felsgestein war.
Aisha drückte Brockmann zurück auf die Decke. Lore Hollerau lag tiefer in der Höhle in einem ohnmachtsähnlichen Schlaf. Der letzte Tag war zuviel für sie gewesen. Alle Reserve ihrer Kraft war verbraucht; sie war auf die Decke gefallen und hatte sich bis jetzt nicht gerührt. Es gibt eine Grenze der Anstrengung, hinter der es dem Menschen gleichgültig ist, ob er weiterlebt oder stirbt.
»Wir sind in Sicherheit, Oulf.« Aisha wusch Brockmanns staubiges Gesicht mit Wasser. Das Fieber hatte ihn aufgedunsen. Er sah aus, als habe man unter seine Haut Luft gepumpt. »Wie geht es dir?«
»Mir ist schwindlig.« Brockmann schloß die Augen. Die Kühle des Wassers und die Kälte der Nacht waren wohltuend. Er wollte die Decke, die über ihm lag, abwerfen, aber Aisha hinderte ihn daran. »Mir ist so heiß«, sagte er leise.
»Du hast hohes Fieber, aber ich bin glücklich, daß du wieder lebst.«
»War ich denn tot?«
»Du warst noch mit einem Zipfel deines Lebens bei
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