Nächte am Nil
Allahs.
Langsam, unendlich langsam wuchsen die kahlen Felsen vor ihnen auf und beherrschten den sonst so weiten Horizont. Brockmann stöhnte laut, aber Schmerzen empfand er nicht. Er war noch besinnungslos. Er lag in dem hohen Kamelsattel, festgehalten von Aisha, und schaukelte durch den Sand.
Aisha hielt ein paarmal an, um den schlaffen Körper zurechtzuschieben und auf das müde stolpernde Kamel zu warten, auf dem Lore Hollerau saß.
Welch ein Zug, dachte Aisha. Eine Blinde und ein Sterbender taumeln durch die Wüste. Wozu denn noch, wozu? Warum klammert man sich bloß so an das Leben, warum hat man nicht den Mut, sich einzugestehen, daß alles sinnlos geworden ist? Warum nimmt man nicht die Pistole und drückt sie ein paarmal ab. Es ist doch so einfach … Zeigefinger krümmen, drücken … ein dumpfer Knall … und man ist erlöst.
Der Abend dämmerte herein. Die Felsen wurden lila. Sie waren jetzt wie eine türmebesetzte Mauer, die die Wüste abschloß von einem unbekannten Land hinter der Mauer. Aber nur ein Irrer glaubte, daß dahinter das Paradies begann … auch da war Wüste, war Sonnenglut, war Einsamkeit, war Allahs Fluch.
Nach einem Ritt von zehn Stunden erreichten sie die Felsen. Vor einer bizarren Höhle hielt Aisha, schwang sich hinüber auf Brockmanns Kamel und hielt ihn von hinten fest. Dann ließ sie das Tier knien und trug den fieberheißen Körper in die Kühle der Felsennische.
Lore Hollerau rutschte aus dem Sattel, kaum daß ihr Kamel auf den Knien lag. Sie fiel auf die felsige Erde, streckte die Arme weit von sich und lag da, als solle sie ans Kreuz geschlagen werden.
»Mach ein Ende«, röchelte sie. »Aisha … mach Schluß. Es geht nicht mehr … es geht nicht mehr …«
Aisha reckte und dehnte sich, als stehe sie gerade auf aus einem tiefen Schlaf. »Wir sind in den Felsen von Bir Abu Massa«, sagte sie laut und beugte sich über Lore, als müsse sie es ihr in die Ohren schreien. »In Bir Abu Massa. In der Nähe von Wasser. In Sicherheit. Wir haben die Hälfte geschafft.«
»Die Hälfte …« Lore Hollerau wälzte sich auf die Seite. Ihr ganzer Körper zuckte. »Oh, die Hälfte … erschieß uns. Ich flehe dich an … erschieß uns. Ich will nicht verrecken wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
Die Dunkelheit fiel über die Wüste. Am wolkenlosen Himmel flimmerten die Sterne auf. Aus den zerklüfteten Felsen kroch die Kälte. Der Wind rauschte um die Grate.
Die sechste Nacht.
O Gott, hab Erbarmen.
*
Hauptmann Brahms begrüßte den Leutnant der libyschen Luftstreife wie einen alten Kameraden. Er legte die Hand an den Kopf, nachdem man sich auf drei Schritte genähert hatte und der Propellerlärm der drei Hubschrauber verklungen war.
»Jussuf Ben Darahn«, stellte er sich vor. »Hauptmann in ägyptischen Diensten.«
»Leutnant Abkir Ornaran. Darf ich fragen, warum Sie in den libyschen Luftraum eingedrungen sind? Haben Sie sich verflogen? Versagten Ihre Instrumente?« Dann schwieg der junge Leutnant, denn aus dem ägyptischen Hubschrauber kletterten Birgit und Zuraida, Oberfeldwebel Franz und der riesige schwarze Nubier Baraf. Fassungslos starrte Abkir Ornaran auf die beiden Frauen.
»Wir haben uns weder verflogen noch versagten die Instrumente«, sagte Hauptmann Brahms. Die Unterhaltung wurde in englischer Sprache geführt. »Wir sind nach Libyen gekommen, um in der freien Welt um Asyl nachzusuchen. Ich bitte Sie, uns zu Ihrem Kommandeur zu bringen.«
Der junge Luftwaffenleutnant nickte. Birgits blonde Haare leuchteten in der Sonne. Welcher Orientale wird da nicht besinnlich? Er beachtete Hauptmann Brahms nicht mehr, er ging mit großen Schritten auf die beiden Frauen zu und grüßte noch einmal mit einer leichten Verbeugung. Vor allem Birgit strahlte er an … schwarze Schönheiten wie Zuraida gab es auch in Libyen genug, aber diese goldenen Haare waren wie eine zerflatterte Sonne.
»Darf ich Sie bitten, in einen unserer Hubschrauber umzusteigen, meine Damen«, sagte er. »Die Maschine, mit der Sie gekommen sind, muß leider beschlagnahmt werden.«
Er verbeugte sich noch einmal und schob sich zwischen Birgit und Zuraida.
»Bitte!«
Mit schnellen Schritten gingen sie zu einer der libyschen Maschinen. Um Hauptmann Brahms, Franz und Baraf hatte sich ein Kreis bewaffneter libyscher Soldaten gebildet. Franz kratzte sich den Kopf.
»Ich glaube, Chef, die betrachten uns als Gefangene. Das alles erinnert mich verdammt an El Alamein. Da standen wir auch in der Wüste, umringt von
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