Nächte am Nil
nicht … er steigerte sich im Gegenteil zu einem wahren Furioso.
»Dank, o Herr, Dank!« stammelte ein Neger und fiel Brahms zu Füßen. Ehe es Brahms verhindern konnte, umringten ihn über ein Dutzend Frauen und Männer und küßten seine Stiefel, seine Hände und seinen Körper. Eine Flut schwarzer Köpfe überspülte ihn und zerdrückte ihn fast in überschäumender Dankbarkeit.
Mit Gewalt befreite er sich von den Händen und Köpfen und stieß sich einen Weg frei zu dem wartenden Piloten. »Die machen mich fertig!« schrie er. »Vor allem die Weiber! Himmel noch mal – so viel nacktes Fleisch habe ich noch nicht unter den Fingern gehabt!«
»Was wird aus den Sklaven?« fragte der Pilot. Er sah zurück auf das Lager. Die Neger bildeten wieder eine geschlossene, schwarze Masse, so, als seien sie noch immer aneinandergefesselt.
»Nicht fragen, Junge.« Brahms' Gesicht wurde todernst. »In ein paar Stunden wird hier etwas passieren, was wir Europäer nie verstehen können. Das Wichtigste ist erst mal – weg und Birgit finden. Um die Sklaven brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern …«
Nach drei vergeblichen Startversuchen – immer wieder hinderten Steinhaufen sie daran, den nötigen Anlauf zu bekommen – stiegen sie wieder in den bleiernen Himmel und nahmen Kurs nach Norden. Sie flogen niedrig, um unter sich alles beobachten zu können.
Aber die Wüste war leer.
Die Rückkehr der Araber zu ihrem Sklavenlager war die Rückkehr von vor Wut und Rache schäumender Ungeheuer. Boran-Bei ritt an der Spitze. »Ich werde drei von diesen schwarzen Affen vor aller Augen zerreißen lassen!« hatte er gebrüllt. »Bei mir flüchtet niemand mehr! Ich will sie warnen, diese stinkenden Schakale!«
So ritten sie heran, die Peitschen in den Händen, im Herzen Blutdurst und Grausamkeit.
Im Lager war es still. Die Sklaven saßen so, wie man sie vor Stunden verlassen hatte. Eine zusammengeballte Masse Mensch, auf die die Sonne erbarmungslos ihre Glut schleuderte.
Boran-Beis Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Welcher Stumpfsinn, dachte er. So kann nur ein Neger sein. Sie haben kein Gehirn.
Die Araber saßen da, ihre Kamele knieten. Mit wippenden Peitschen in den Fäusten gingen Boran-Bei und seine Leute auf das schwarze Knäuel zu, auf diese hundertvierzig starren Augen, die ihnen entgegensahen.
Was dann geschah, war eine jener heimlichen Tragödien, von denen nie jemand etwas hörte.
Bevor Boran-Bei etwas sagen konnte, erhob sich die träge, schwarze Masse von Leibern vor ihm und flutete auf ihn zu. Wie eine riesige, dunkle Woge ergossen sich die Sklaven über die Männer in den weißen Dschellabas, alles niederwalzend, was sich ihnen in den Weg stellte. Begleitet wurde diese Woge von einem einzigen Schrei des Triumphes, in dem das Wimmern, Röcheln und Brüllen der Araber unterging wie ein Flüstern gegen einen Sturm.
Es dauerte keine fünf Minuten.
Was von Boran-Bei und seinen Männern übrigblieb, war nicht mehr menschenähnlich. Es lohnte sich nicht mehr, die Teile zu begraben. Man warf sie weg als Nahrung für die Geier und Hyänen, die seit vier Stunden das Lager umkreisten, als hätten sie diese blutigen Schrecken geahnt.
Dann formierte sich eine neue Karawane. Auf den Kamelen saßen die schwachen Frauen auf, die nicht mehr lange laufen konnten. Vor und hinter den Kamelen zogen die Männer durch die Wüste, geführt von einem riesigen Tschad-Neger, einem breitschultrigen Bullen.
»Ich führe euch in meine Heimat!« hatte er verkündet. »Die Grenze ist nicht mehr weit. Vier Tagesreisen nur. Wer mitkommen will, der folge mir.«
Und alle folgten sie ihm. Wo sollten sie auch hin?
Unterdessen flog Brahms systematisch das ganze Gebiet ab. Er sah unter sich einen Gürtel aus Sanddünen, dann einige kahle Felsen und Schluchten, ein Wadi, spärlich mit Tamarisken und staubigen Agaven bewachsen, aber immerhin ein Beweis, daß hier in der Regenzeit das Flußbett nicht leer blieb, sondern Wasser führte.
»Nichts«, sagte Brahms mit belegter Stimme. »Gar nichts. Wenn Birgit in diese Richtung gelaufen ist, muß sie uns auf jeden Fall sehen und hören, wenn wir schon blind sind. Aber ich glaube nicht mehr daran, daß sie nach Norden ist.« Er starrte wieder auf die wilde Landschaft unter sich und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
»Es kann auch sein, daß die Araber …« Er sprach nicht weiter. Der Gedanke war zu grausam. »Wenn das der Fall ist, Junge«, sagte er nach einer Weile leise, »vergesse ich
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