Nächte am Nil
zusammenkratzte und ihn anhäufte, damit die Urne nicht umfiel, wie er dann mit gesenktem Kopf davor stand und die Hände gefaltet hielt.
Er muß sie sehr geliebt haben, dachte sie, und dieser Gedanke tat dummerweise ein bißchen weh. Und gleichzeitig dachte sie: Wie schön muß es sein, von einem Menschen solche Liebe zu empfangen. Ich habe nie dieses Glück gehabt. Ich wurde immer nur enttäuscht. Ich habe die Männer hassen gelernt, bis ich auf Alf Brockmann traf. Ohne daß er es merkte, bekam ich die Achtung wieder. Ich wuchs innerlich mit ihm zusammen; ich dachte, was er dachte; ich wußte im voraus, was er tun würde; ich hatte Angst um ihn und war doch glücklich, nur um ihn zu sein, ihn nur zu sehen, zu hören, seine Körpernähe zu spüren. Ich habe mich verliebt wie ein junges Mädchen in seinen ersten Mann, und es war schwer, es immer vor ihm zu verbergen.
Aber jetzt wird es anders werden. Jetzt braucht er einen neuen Halt im Leben. Was ist ein Mann ohne die Liebe einer Frau? Ein ewig Herumirrender, ein Landstreicher auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Das klingt verteufelt romantisch – aber das Gefühl hat man bisher noch nicht modernisieren können.
Am Abend saßen Alf Brockmann und Lore Hollerau auf der Terrasse und tranken süßen Wein. Aus einem Transistorradio klang leise, zärtliche Musik.
»Sie sollen nicht so viel grübeln, Chef«, sagte Lore Hollerau und strich Brockmann über die blonden Haare. »Unser Leben geht weiter, und wir haben noch nicht einmal einen Einfluß darauf. Die Heimat ist weit, und wir sitzen mitten in der Wüste. Wäre ich ein Mann, würde ich sagen, es ist alles Mist, wenn wir uns nicht hätten.«
Alf Brockmann lächelte schwach. »Sie sind ein tapferes, starkes Mädchen, Lore.« Er beugte sich vor und küßte sie auf den Haaransatz. »Es stimmt. Ich wäre jetzt schrecklich einsam, wenn Sie nicht wären.«
Aus dem Mauerschatten, in dem sie schon eine ganze Zeit gestanden hatte, glitt lautlos Aisha in die Nacht hinaus und rannte im Schutze der Büsche geduckt davon. Ihre schwarzen Augen glühten.
Er hat sie geküßt, schrie es in ihr. Er hat sie geküßt.
Sie rannte zu ihrem Haus, riß das Paket vom Tisch und glitt wieder in die Nacht hinaus.
Es war keine Schwierigkeit, in den kleinen Bungalow Lore Holleraus einzudringen. Die Verandatüren standen offen, wie jede Nacht. In Bir Assi brach niemand ein, stahl niemand etwas. Wo sollte er denn hin mit dem Gestohlenen?
Mit spitzen Fingern legte Aisha das kleine Paket auf den Tisch, mitten in einen kleinen Berg Post, der mit dem Morgenhubschrauber gekommen war und den Lore Hollerau noch nicht durchgesehen hatte. So war es selbstverständlich, daß Lore auch das Paket als mit der Post gekommen betrachten und es ahnungslos aufschnüren würde.
Ebenso lautlos und unsichtbar, wie Aisha gekommen war, verschwand sie auch wieder. Sie lief zu ihrem Versteck, holte den kleinen Sender aus dem Stroh und tastete wieder den Äther nach einem Gespräch mit der Zentrale ab.
»Gamma eins … Gamma eins … Gamma eins … Bitte rufen! Bitte rufen!«
Zur größten Verblüffung meldete sich sofort die Gegenseite. Die Zentrale. Man schien dort sehr aufgeregt zu sein, denn die Worte überstürzten sich so, daß Aisha sie nicht verstand. Erst nach einer Rückfrage bekam sie eine klare Auskunft.
»Paket zurückhalten – Paket zurückhalten –«, hörte sie. Ein Zittern durchlief ihre schlanke Gestalt. »Paket nicht abliefern. Neue Meldungen abwarten. Sie werden ab sofort zum Schutz des Betreffenden eingesetzt. Paket zurückhalten. Ende.«
Aisha antwortete nicht mehr. Sie warf den Funkapparat in das Stroh und hetzte durch die Oasenstraßen und quer durch die Gärten zu der weißen Villenkolonie. Keuchend erreichte sie die hohe Mauer, die die Bungalows umgab. Mit letzter Kraft erkletterte sie die Mauer, ließ sich in den Garten fallen und rannte mit taumelnden Beinen zum Bungalow Lore Holleraus.
Im Zimmer brannte Licht.
Lore stand am Tisch und sah die Post durch. Die Briefe hatte sie schon sortiert, nun hielt sie das kleine Paket in den Händen und drehte es mit leichtem Kopf schütteln.
»Nein!« wollte Aisha schreien. »Nein! Nicht aufmachen! Halt!«
Aber die Stimme versagte ihr. Sie stand wie gelähmt im Garten und starrte auf die Frau im hellen Licht, die jetzt eine Schere nahm und die Bindfäden durchschnitt.
Noch einmal versuchte Aisha einen Schritt vorwärts, aber es war zu spät zur Rettung. Als Lore an dem Knoten zog, der
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