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Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gehorchen, weiter nichts. Denken tun die anderen, Schwester.«
    »Sie denken nichts – sie hassen blind.«
    »Ist das nicht ihr gutes Recht?« Hassan zerdrückte die Zigarette auf der festgestampften Erde. »Warum bist du sonst hier in Bir Assi?«
    Aisha schwieg. Sie wußte, es gab keine Möglichkeit, dem Auftrag auszuweichen. Führte sie ihn nicht aus, war es Verrat, und es gab Möglichkeiten genug, das dann ausgesprochene Todesurteil zu vollstrecken. Auch Hassan würde es tun, bedenkenlos. Er war ein Mensch, der nur gehorchte und deshalb auch nicht fragte.
    »Ich werde das Paket abliefern«, sagte Aisha heiser. »Aber vorher spreche ich noch mit der Zentrale.«
    »Auch das wird nicht möglich sein. In den nächsten vierzehn Tagen nicht.« Hassan erhob sich und ging zur Tür. »Die Zentrale verlegt den Standort. Die neue Position wird noch bekanntgegeben.«
    »Dann warte ich solange.«
    Hassan hob wieder die Schultern. »Wie du willst. Aber man erwartet, daß du das Paket in den nächsten Tagen ablieferst.«
    Aisha sah durch das Fenster Hassan nach, wie er über die Straße ging, zwei Soldatenkameraden traf und mit großem Hallo begrüßte. Untergefaßt und laut redend verschwanden sie um die Ecke in die Hauptstraße, wo zwei Läden der Limonadenverkäufer waren.
    Ich muß Alf warnen, dachte Aisha und sah haßerfüllt auf das braune Paket. Ich muß ihn irgendwie warnen. Er darf nicht sterben.
    *
    General Assban ließ Brockmann allein, nachdem er ihm feierlich die Urne überreicht hatte. Nur Lore Hollerau blieb zurück und setzte sich neben Alf auf die geflochtene Liege.
    »Das bleibt von einem Menschen also übrig«, sagte Brockmann nach einer langen Zeit des Schweigens. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt und sah unverwandt die Urne an. »Ein Häufchen Staub und Asche. Es ist mir unfaßbar, daß das Birgit gewesen sein soll. Ich kann es einfach nicht begreifen …«
    Lore Hollerau legte ihre Hand auf seinen Arm. Es war eine scheue, zärtliche Geste.
    »Der Tod ist immer etwas Unfaßbares, Chef. Ich weiß, wie auch ich es nicht begriff, als ich meine Mutter aus den Trümmern unseres Hauses ausgrub. Volltreffer. Luftmine. Das Haus war zusammengefallen wie ein Kartenhäuschen … aber alle Keller waren unversehrt. Als wir in sie hineinkamen, lag Mutter auf ihrem Luftschutzbett, die Hände gefaltet, und schlief. ›Mutter, wach auf!‹ habe ich gerufen. Ich habe sie geschüttelt und gerüttelt, ich habe immer wieder gerufen: ›Nun wach doch auf. Du mußt aus dem Keller raus! Mein Gott, wie kann man nur so tief schlafen!‹ Ich konnte es einfach nicht begreifen, daß Mutter so friedlich dalag und nicht mehr lebte. Lungenriß, sagten die Ärzte. Der ungeheure Druck der Luftmine. Was verstand ich davon? Ich wollte es ja gar nicht verstehen. Sie schlief ja nur. Und selbst, als man sie begrub, stand ich noch am Grab und schrie: ›Was macht ihr denn? Sie schläft doch nur! Holt sie zurück! Holt sie zurück!‹« Lore legte den Kopf an Brockmanns Schulter. »Es hat lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, allein zu sein. Ich habe ein Jahr lang jeden Morgen für Mutter ein Gedeck auf den Tisch gelegt. Einen Blechlöffel und eine große NSV-Porzellanschüssel. Das war damals schon Luxus. Aber das wissen Sie ja alles selbst, Chef.«
    Alf Brockmann nickte. Er legte den Arm um Lores Schulter, und so saßen sie, umschlungen und stumm, vor der in der Sonne glitzernden Urne und dachten zurück an ihr vergangenes Leben.
    »Wo wollen Sie die Urne beisetzen?« fragte Lore nach einer langen Zeit. Brockmann zuckte zusammen.
    »Assban läßt im Garten ein Grabmal bauen.«
    »Und bis es fertig ist?«
    Brockmann schwieg. Wo soll ich Birgits Asche hinstellen, dachte er. Was macht man mit einer Urne? Man kann sie doch nicht einfach aufs Büfett stellen wie eine Vase oder in dem Kleiderschrank verstecken wie alte Schuhe. Die Ehrfurcht vor dem Tode gebietet einen heiligen Ort … wo aber war in der Wüstenoase Bir Assi ein solcher Platz?
    »Ich werde die Urne in den Garten stellen, unter den großen Malvenbusch«, sagte Brockmann heiser. »Birgit mochte immer blühende Sträucher, sie war ein Blumennarr. Unter den Malven wird sie einen würdigen Platz haben.«
    Er stand auf, ergriff mit beiden Händen die Urne, drückte sie an die Brust und verließ langsam das Haus. Lore Hollerau ließ ihn allein gehen. Sie trat ans Fenster und sah zu, wie er die Urne unter den großen blühenden Busch stellte, wie er mit den Händen Sand

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