Nächte am Nil
begreifen.
»Okay«, unterbrach Philipp das Schweigen. »Ich werfe den Brief ein. Wir wollen noch nach Sorrent und dann nach Capri. Aber vorher geht er ab. Alles Gute, Miß Berta.«
»Danke. Und … und Gott möge uns helfen.« Birgit winkte dem alten Wagen nach, bis er zum Hafen von Salerno hin verschwand, zwischen Karren und hupenden Lastwagen.
Im Hafen hielt Philipp an und sah hinüber zu dem Postgebäude. Mabel hielt ihn am Ärmel fest. »Willst du wirklich?« fragte sie.
»Warum nicht?«
»Weißt du, in welches Abenteuer du dich da einläßt? Wer war sie? Warum strolcht sie herum? Ohne einen Penny? Nein, nein. Halte dich da heraus, Philipp. Du hast immer ein zu gutes Herz. Gib einmal her.« Mabel nahm den Brief, zerriß ihn in kleine Fetzen, stieg aus dem Wagen und streute die Schnipsel in das Hafenbecken. »So«, sagte sie zufrieden, als sie wieder neben Philipp saß, »das wäre erledigt.«
»Ob es richtig war, Mabel?« fragte Philipp nachdenklich.
»Für uns war es richtig. Wir sind im Urlaub, Darling. Und nun fahr zu … ich freue mich ja so auf Capri.«
Birgit sah sich mehrmals um, als der Wagen der Engländer ihren Blicken entschwunden war. Wohin, dachte sie. Ob rechts oder links, es bleibt sich doch alles gleich. Irgendwo werde ich für diese paar Tage unterkommen, bis mich Konrad Gerrath abholt. Nach ein paar Straßen, in der Nähe der Kirche vom Heiligen Geist, sah sie ein Restaurant mit einem Schild ›Deutsche Küche‹. Das ist es, dachte sie. Dort habe ich eine Chance.
Sie betrat die etwas dunkle, große Wirtsstube und sah einen Kellner herumstehen. »Ich möchte den Chef sprechen«, sagte sie stockend. »Il patrone – prego –«
*
Am nächsten Tag fuhr Hans Ludwigs mit seinem deutschen Wagen nach Süden. Nach Bir Assi. Ein Ausweis des ägyptischen Handelsministeriums ermöglichte es ihm, alle Sperren zu passieren und sich frei im Lande zu bewegen. Die deutsche Stahlfirma, die Fertigwaren lieferte und deren Repräsentant Ludwigs war, hatte nicht nur einen guten Ruf, sondern die Erzeugnisse aus Deutschland waren ein wichtiger Faktor im industriellen Aufbau des Landes. So hielt niemand den weißen Wagen auf, und es wunderte sich auch keiner, daß er in der Nacht von El Fayum nach Süden tuckerte. Manager haben andere Zeiten als normale Menschen, das wußte man jetzt sogar am Nil.
Gegen drei Uhr morgens passierte Hans Ludwigs El Minya, tankte, trank eine Tasse Kaffee in der Tankstelle und fuhr weiter.
Um vier Uhr sechzehn bremste er, denn auf der Straße stand ein schlankes, langhaariges, wunderschönes Mädchen und winkte mit beiden Armen. Die Uhrzeit behielt er deshalb so genau im Gedächtnis, weil er im Augenblick des Bremsens auf die Uhr sah und zu sich sagte: Um vier Uhr sechzehn lerne ich einen Engel kennen. Das muß man sich behalten.
Hans Ludwigs sprang aus seinem Wagen und gestand sich ein, selten ein so schönes Mädchen gesehen zu haben. Dementsprechend galant war er und lächelte sein sonnigstes Lächeln.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte er auf ägyptisch.
Das Mädchen nickte. Ihre schwarzen Augen glänzten. Es war, als spiegelten sich alle Sterne des Wüstenhimmels in ihnen. Das Herz Ludwigs quoll auf wie ein Ballon.
»Ja. Sie können mir helfen, Sir. Mein Wagen hat eine Panne. Können Sie mich abschleppen nach Bir Assi?«
»Aber mit Vergnügen.« Ludwigs sah hinüber zu dem alten Vehikel. »Es ist überhaupt sträflich, ein so schönes Mädchen nachts allein durch die Wüste fahren zu lassen. Ein Glück, daß Sie mich getroffen haben. Ich werde Sie von jetzt an beschützen wie der Kalif seine Lieblingsfrau.«
Aisha lachte und warf die langen Haare aus der Stirn. Als sie vor Ludwigs her zu ihrem Wagen ging, wiegte sie sich in den Hüften. O Himmel, dachte Ludwigs. Da fährt man nach Bir Assi, um einen Menschen umbringen zu lassen, und begegnet dem zauberhaftesten Wesen dieser Erde. Wie mag sie heißen? Wo kommt sie her? Bestimmt ist sie die Tochter eines reichen Händlers in Bir Assi.
Er sah auf seine Uhr. Der Tod läuft nicht weg, dachte er. Ob heute oder morgen, er kommt früh genug. Heute gehört der Tag diesem Engel des Nils. Dieser Aisha wird noch ein Tag geschenkt werden.
Er suchte aus dem Kofferraum das Nylonabschleppseil und wickelte es auseinander, während er zu dem alten Wagen ging. Aisha lehnte an der Tür, eine Demonstration der Schönheit.
Hans Ludwigs wurde die Kehle trocken.
»Hier. Damit bringe ich Sie sicher nach Bir Assi!« rief er heiser und
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