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Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verschwunden«, sagte Gerrath. Er setzte sich, als er den völlig konsternierten Blick des Kommissars sah.
    »Auch entführt? Ich denke, sie macht eine Reise nach Ägypten?«
    »Dort scheint sie nie angekommen zu sein.« Gerraths Gesicht war bleich und zerfurcht. Die vergangenen drei Wochen hatten ihn um Jahre gealtert. »Seit drei Wochen keine Nachricht, kein Brief, keine Karte, kein Anruf. Sie geben doch zu, Herr Kommissar, daß man in drei Wochen die Möglichkeit hat, auf einer Karte einen kleinen Gruß zu schreiben, ein simples Lebenszeichen nur.«
    »Natürlich.« Der Kommissar hob die Schulter. »Aber das ist noch kein Beweis, daß Frau Brockmann ›verschwunden‹ ist, wie Sie sich ausdrücken.«
    »Sie wollte nach Ägypten, um ihren angeblich toten Mann zu suchen.«
    »Ich weiß. Eine verrückte Reise. Jeder hätte ihr davon abgeraten. Man begibt sich nicht in die Mühle der Politik, ohne damit zu rechnen, zermahlen zu werden.« Der Kommissar lehnte sich zurück und drehte seinen Kugelschreiber nervös zwischen den Fingern. »Sie sind gekommen, um eine Vermißtenanzeige zu machen?«
    »Ja«, sagte Gerrath laut.
    »Gut. Wir nehmen sie zu Protokoll! Aber welche Möglichkeiten haben wir? Interpol natürlich. Fahndung in der ganzen Welt. Sagten Sie damals nach der Entführung des Jungen nicht, daß Frau Brockmann sich einer Gruppe angeschlossen hätte, die sie nach Ägypten einschleusen wollte?«
    »Ein junges Mädchen mit Namen Zuraida begleitete sie. Eine Israelitin.«
    »Stimmt. Ich erinnere mich. Zuraida. Klingt nach 1001 Nacht.« Der Kommissar warf seinen Kugelschreiber auf den Tisch. »Glauben Sie wirklich, daß Interpol eine Chance hat, Frau Brockmann zu finden, wenn Geheimdienste die Gegenspieler sind? Wir werden natürlich alles versuchen, was einer Polizei möglich ist, aber es wird trotzdem ein Schlag ins Wasser sein. Wissen Sie ungefähr den Weg, den sie nehmen wollten?«
    »Über Süditalien mit einem Boot ins Nildelta.«
    Der Kommissar hob hilflos beide Arme. »Aus Ihren eigenen Worten sollten Sie erkennen, wie verloren wir arbeiten. Von Süditalien mit einem Boot zum Nil. Lieber Dr. Gerrath! Ich suche Ihnen einen verlorenen Brillanten in der Lüneburger Heide eher als einen Menschen im Dschungel der Geheimdienste. Außerdem ist die Schweigsamkeit Frau Brockmanns völlig verständlich. Sie wird nicht schreiben dürfen.«
    »Das habe ich auch angenommen. Darum habe ich drei Wochen geduldig gewartet. Aber dann wurde es mir unheimlich, und nun sagt mir mein Gefühl, daß etwas passiert sein muß. Ein neues Verbrechen.« Gerrath ballte die Fäuste. »Ist denn ein Menschenleben gar nichts mehr wert?« schrie er plötzlich.
    »Kaum noch etwas.« Der Kommissar wischte sich über die Augen. »Sie sind Anwalt, Doktor, Sie kennen aus Ihrer Praxis alle Abarten von Charakter und Seele. Aber glauben Sie mir: Was wir hier von der politischen Abteilung alles erleben, könnte einen dazu bringen, Gott zu bitten, diesen ganzen Erdball mit einem einzigen Knall zu vernichten, damit es endlich Ruhe im Weltall gibt. Man kann den Glauben an den Menschen völlig verlieren. In diesem Komplex ist Ihre Frau Brockmann nur ein ganz kleiner Fisch, den wir kaum an die Angel bekommen werden.«
    Konrad Gerrath verließ nach einer Stunde das politische Kommissariat mit dem Gefühl, nackt unter Angezogenen zu sein. Ein Jurist denkt von Natur und Beruf aus nüchtern, ihn erschüttert kaum etwas, was in den Gesetzbüchern mit Strafe belegt wird, vom kleinen Gauner bis zum Lustmord; es sind Auswüchse der menschlichen Gesellschaft. Und trotzdem erschütterte die Tatsache, daß zwei Menschen einfach spurlos verschwinden können und keiner die Möglichkeit hat, sie aufzuspüren, Konrad Gerrath derart, daß er einen körperlichen Schmerz in Herz und Magen empfand, wenn er an Birgit dachte.
    Er setzte sich in seinen Wagen, der vor dem Kommissariat abgestellt war, drehte den Zündschlüssel herum und suchte in der Rocktasche nach seinen Zigaretten. Er fand keine Schachtel mehr, stieg wieder aus und ging über die Straße zu einem Automaten, der neben dem Eingang eines Lebensmittelgeschäftes hing.
    Dieser Zigarettenkauf rettete ihm das Leben.
    Gerrath hatte gerade das Geld in den Automaten geworfen, als hinter ihm eine gewaltige Detonation ertönte. Eine Luftdruckwelle warf ihn gegen die Hauswand und preßte ihn dann auf den Asphalt, er bekam keine Luft mehr, riß den Mund auf – meine Lungen, dachte er, oh, meine Lungen zerreißen … er

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