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Nächte am Nil

Nächte am Nil

Titel: Nächte am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu dem Kamel gehen wollte. »Ist das wirklich nötig, Aisha?« fragte er mit belegter Stimme. »Wenn wir wirklich kühlen und über Nacht versuchen, die Schwellung …«
    Aisha sah ihn aus ihren großen, schwarzen Augen an. »Die Wüste kennt keine Gnade, Oulf. Weißt du, wie wertvoll ein Tag ist? Wir müssen überleben, nicht das Tier.« Sie ging zu ihrem Kamel und holte zwei große, schon leere Wassersäcke, die sie hinter ihren Sattel geschnallt hatte. Brockmann ließ sein Kamel niederknien und lief zu dem verletzten Tier.
    »Ist etwas?« fragte Lore laut.
    »Ein Kamel lahmt. Aisha will es erschießen.«
    Lore schwieg. Sie würde auch mich erschießen, wenn sie es könnte, dachte sie. Ein lahmes Kamel, eine blinde Nebenbuhlerin, es wäre ein Aufwaschen.
    Aisha schleppte die Wassersäcke heran und warf sie in den Sand. Außerdem hatte sie vom zweiten Lastkamel einen großen Rührlöffel und einen Plastikeimer mitgebracht. Brockmann sah erstaunt zu, wie sie alles um das kranke Kamel legte, auch ein großes, spitzes Messer. Und plötzlich begriff er, fiel ihm ein, was er verschiedentlich gelesen hatte und was ihm damals schon einen Schauer des Ekels über den Rücken gejagt hatte.
    Aisha hielt ihm den Rührlöffel und den Eimer hin.
    »Das ist doch nicht nötig«, sagte Brockmann mit rauher Stimme.
    »Vor uns liegen noch sieben Tage, Oulf.« Aisha trat an den Kopf des kranken Kamels. Sie hob die Pistole und setzte den Lauf gegen die Stirn des Tieres. »Wenn es umfällt, steche ich in die Halsschlagader. Du hältst den Eimer darunter und rührst ständig, damit das Blut flüssig bleibt.« Sie sah Brockmann aus ihren herrlichen, wilden Augen fast mitleidig an. »Kamelblut ist nicht nur Flüssigkeit, es ist auch Kraft«, sagte sie. »Und wir müssen kräftig sein, Oulf, um jetzt zu überleben. Paß auf … ich schieße!«
    Sie drückte ab. Der Schuß verhallte fast unhörbar in der Weite, doch Lore zuckte zusammen, als habe er ihr gegolten. Das Kamel blieb einen Augenblick auf den Knien liegen, es sah Aisha und Brockmann aus rotunterlaufenen, hervorquellenden Augen an, dann fiel es seitlich in den Sand, die Beine schlugen zuckend um sich und blieben dann hochgestreckt stehen, vier Pfähle in den glühenden Himmel, eine schauerliche Geste: Ich ergebe mich …
    »Aufpassen!« rief Aisha. Sie beugte sich über den Hals des toten Tieres, legte die Finger auf die Schlagader und stach dann blitzschnell und sicher zu. Das Blut schoß in einem dicken Strom hervor, als sie das Messer wieder herauszog. Brockmann hielt den Eimer darunter. In seiner Kehle würgte es, sein Magen schien sich umzustülpen, alles in ihm zitterte vor Ekel, aber gehorsam rührte er das Blut, während Aisha den Schnitt erweiterte.
    »Was macht ihr?« fragte Lore und blickte zu ihnen hin. Sie hatte den Kopf erhoben und lauschte angestrengt. »Ich höre nichts mehr von euch. Wo seid ihr? Alf? Aisha? Wo seid ihr?« Und plötzlich schrie sie, umklammerte den Sattelknauf und ihr ganzer Körper schien in dem Schrei mitzuzittern. »Laßt mich nicht allein! Laßt mich nicht zurück! Alf! Du darfst mich nicht hierlassen! Ich liebe dich! Ich liebe dich!«
    Brockmann wollte den Eimer hinstellen und zu Lore laufen, aber die harte Stimme Aishas hielt ihn zurück. »Rühren! Es kann unser Leben bedeuten.«
    Lore Hollerau hörte die Stimmen. Ihr Kopf schnellte vor, sie riß die dunkle Sonnenbrille von den toten Augen, als könne sie dadurch mehr sehen. Aber da war nichts als Dunkelheit, völlige Dunkelheit, und sie wußte, daß sie in der grellsten Sonne saß, die Gott geschaffen hatte.
    »Ihr seid so weit weg!« rief sie. »Wo steht ihr? Was macht ihr? Reitet nicht weiter ohne mich – Ich flehe euch an –«
    »Wir sind hier!« rief Brockmann zurück. »Wir kümmern uns um das tote Kamel.« Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht, aber er rührte und rührte und sah mit Schaudern, wie Aisha Blut in einen der Wassersäcke laufen ließ und Roggenmehl dazuschüttete. Wie in einem großen Mixbecher schüttelte sie dann den Sack, bis sich das Mehl mit dem Blut vermengt hatte.
    »Das ist eine gute Nahrung«, sagte sie. »Du kannst beim Essen die Augen zumachen, Oulf, aber du wirst kräftig bleiben und gesund.«
    Brockmann schwieg. Nachdem sie den zweiten Wassersack mit dem dünnflüssig gebliebenen Blut gefüllt und ihn auf Aishas Kamel verladen hatten, setzte sich Alf völlig erschöpft in den kargen Schatten seines knienden Kamels. Er trank ganz vorsichtig einige

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