Nächte am Nil
gleich ohnmächtig umsinken würde. »Wo bringen Sie mich hin?«
»Nach Deutschland, gnädige Frau – und zu Ihrem Mann.«
»Zu meinem … zu Alf … Alf lebt?«
»Ja.« Brahms sah sich um. »Wir haben keine Zeit, uns groß anzuziehen. Baraf packt alles ein. Sie können sich auf dem Boot ankleiden. Kommen Sie, wir müssen erst mal weg.«
Er ergriff Birgits schlaffe Hand und zog sie aus dem Zimmer. Alf lebt, dachte sie nur. Er lebt … lebt … lebt. Die Urne mit der Asche, der Totenschein, alles war nur Betrug. O mein Gott, ich habe es gewußt, ich habe es von der ersten Stunde an gewußt.
Sie ließ sich mitziehen und schauderte nur zusammen, als sie den Wächter vor der Tür liegen sah.
»Tot?« fragte sie tonlos.
»Nein. Er schläft nur unfreiwillig fest. Wenn er aufwacht, wird er einen Brummschädel haben, weiter nichts.«
Hauptmann Brahms faßte die Hand Birgits fester. Hinter sich hörte er Baraf … keine Schritte, sondern nur seinen Atem.
Sie kamen in den Innenhof, liefen zum Tor, trafen in dem Säulengang auf die sieben schwarzen Männer und den unterdessen gefesselten und geknebelten Karim.
»Guten Morgen, Frau Brockmann«, sagte Franz und nahm Haltung an. Birgit sah in das lächelnde, geschwärzte Gesicht.
»Alles Deutsche –«, stammelte sie.
»Ja, gnädige Frau.« Brahms warf Birgit einen Umhang um die Schultern. Sie zitterte in der Nachtkühle. »Ich werde es Ihnen später erklären. Jetzt müssen wir nur eins … laufen … laufen … laufen …«
Erst als Birgit in einem der flachen Boote saß und hinausglitt auf den Nil, kam ihr voll zum Bewußtsein, was in den vergangenen Minuten geschehen war.
Sie war frei. Sie fuhr Alf entgegen. Fremde, von denen sie nichts wußte, entführten sie in die Freiheit. Sie raste jetzt über den schwarzen Nil von einem Geheimnis in das andere, aber sie hatte die Gewißheit: Alf lebt. Der Fahrtwind riß an ihren blonden Haaren, sie legte den Umhang enger um sich und kuschelte sich zusammen. Hauptmann Brahms legte den Arm um ihre Schulter.
»Wenn Sie es nicht als Anzüglichkeit auffassen, gnädige Frau: Schmiegen Sie sich an mich. Ich wärme Sie.«
Birgit lehnte den Kopf an Brahms' Brust. Frei, dachte sie. Frei. Und ich bin nicht mehr allein.
»Wer sind Sie?« fragte sie.
»Ein Wanderer im Niemandsland.« Brahms legte eine Decke um Birgit.
Die beiden flachen, kleinen Boote fegten den Nil hinunter, Kairo zu. Die Leuchtbuchstaben der großen Hotels am Nil flimmerten ihnen entgegen.
Es war Birgit, als habe die Freiheit einen riesigen Triumphbogen. Wer ihn durchschritt, dem gehörte das Leben.
*
Vier Tage Wüste. Glut. Flugsand. Feinster, pulverfeiner Sand, der in jede Ritze dringt. Durch die Kleider bis auf die Haut, wo er juckt; durch die geschlossenen Lippen in den Mund; durch die Nase, in die Augenwinkel, zwischen Zehen und Finger. Überall nur Sand. Sand. Und darüber ein farbloser Himmel, die Decke eines Backofens, eine Sonne, die kein Ball mehr ist, sondern ein weit auseinandergeflossenes, weißglühendes Feuer, das von Horizont zu Horizont reicht und kein Leben mehr duldet.
Vier Nächte.
Kalt und feindlich. Ein Sternenhimmel, der gläubig macht vor so viel Pracht, der die Unendlichkeit begreifbar werden läßt und die Winzigkeit des Menschen. Das ist die Grausamkeit der Wüstennacht. Am Tage dörrt die Glut das Hirn aus, aber unter den Sternen beginnt man glasklar zu denken und weiß: Du bist ein Nichts. Ein Sandkorn nur. Das Armseligste unter den Armseligen. Oben ist die Unendlichkeit, und unten ist sie auch. Die Wüste. Der Sand. Der unaufhaltsam kommende Morgen mit der mordenden Sonne. Jetzt, in der Nacht, friert man, hockt neben seinen Kamelen, starrt in die Sterne und denkt: Morgen noch … oder übermorgen … dann ist es vorbei. Dann läufst du wahnsinnig durch den Sand und schreist … schreist … diese glühende, stehende Luft. Diese Einsamkeit. Diese Verlassenheit. Diese Hoffnungslosigkeit. Diese grauenvolle Unendlichkeit. Dieses verfluchte Warten auf den Tod.
Vier Tage durch die Wüste.
Es konnten auch vier Jahre sein.
Am Nachmittag des vierten Tages hielt Aisha die kleine Karawane an. Lore hing unter ihrem Sonnendach. Ihre Finger hatten sich um den Knauf des Kamelsattels gekrallt, und so hielt sie sich fest, ohne es zu wissen; denn sie dachte nicht mehr, sie schaukelte durch die Glut des Tages, durch eine brennende Dunkelheit, wo es nichts mehr zu tasten gab als den Stoff des Segeldaches, den Knopf des Sattelknaufes, das harte,
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