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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Friedenau geboren und
     aufgewachsen waren und, sobald sie konnten, nach Neukölln oder einen anderen Bezirk am entgegengesetzten Ende der Stadt zogen,
     dort ein neues Leben anfingen und von ihrem früheren nichts mehr wissen wollten. Trotzdem!
    Wieder verbrachte ich eine schlimme Nacht, und wieder hatte ich am Morgen Probleme mit den Augen und Kopfschmerzen. Diesmal
     half die Brille nicht. An die Uni wollte ich nicht. Ich traute mich noch weniger als nach der Nacht auf ihrem Küchenboden,
     bei ihr anzurufen. Ich saß in Opas Flur neben dem Telefon, wo es auf der Konsole unter dem Spiegel stand, und wartete.
    Ich betrachtete das Muster auf dem großen blauen Perserteppich zu meinen Füßen, die Vögel und Blumen und Linien, auf und nieder,
     Ornamente, die auf himmlische Zusammenhänge verwiesen. Wortlos versank ich in ihnen, ein fallender Stern.
    |63| Am Nachmittag rief sie an. Ihre Stimme klang rauh.
    Du klingst so heiser, sagte ich schüchtern.
    Ich habe Halsweh, röhrte sie.
    Kurzes Schweigen.
    Wir wollten doch ins Kino, kam aus knisternder Ferne.
    Ins Kino? fragte ich verdutzt.
    Ja, sagte sie, mit deinem Freund, diesem Dichter. Wie wäre es heute Abend? Ich habe gerade nicht so viel zu tun, quatschen
     kann ich nicht und morgen fängt das Seminar erst später an.
    Als ob sie sich sonst um irgendwelche Uhrzeiten gekümmert hätte! Sie schlief, wann immer es ihr einfiel, manchmal fand ich
     sie schlafend auf der Wiese im Park an der Uni, und oft war sie die halbe Nacht auf, selbst wenn sie am nächsten Morgen früh
     aufstehen musste.
    Ist gut, Eva, sagte ich langsam. Ich rufe ihn an. Ich hole dich ab. Um sieben.
    Brauchst du nicht, sagte sie.
    Bitte, flehte ich.
    Sie knurrte. Na gut, sagte sie schließlich.
     
    Ich rief Robert an. Ich versuchte, beiläufig zu sein. Er sagte nur kurz, okay, er hätte ohnehin vorgehabt, ins Kino zu gehen,
     mit Harro und Oliver, sie wollten sich ausnahmsweise mal ein bisschen Hollywood reinziehen. ›
Out of Africa‹
wollten sie sehen, im »Odeon«. Im »Odeon« in Schöneberg liefen die Filme immer im Original, mit Untertiteln. Ich schluckte.
     Er war geschickter als ich, selbst im Beiläufigen.
    Zum ersten Mal war ich es, der ihr verzweifelt die Sachen vom Leib riss, als ich zu ihr in die Wohnung kam, aus der ich Mozart
     bis ins Treppenhaus klingen hörte. Sie wehrte sich, wie im Spiel, dann ließ sie es geschehen, erwiderte meine Küsse, schmiegte
     sich an mich und schnurrte wie ein Kätzchen. Wir waren spät dran, sie hatte nur noch ein schwarzes Unterkleid mit Spitze an,
     ihre Augen und Wangen glühten |64| ein bisschen von ihrer Erkältung, sie sah schön aus. Wir küssten uns immer ausschweifender, unsere Zungen tanzten; ich schob
     ihr Höschen nur zur Seite und drängte in sie hinein, im Stehen in der Küche, und plötzlich wurde es noch einmal ganz anders
     als sonst, wild und lasziv und
wie ohne ein Gefühl
, und ich hätte mir am liebsten das Leben genommen.
    Ich umarmte sie mit all meiner Kraft.
    Du erdrückst mich, sagte sie.
    Aber sie lachte dabei und küsste mich noch einmal.
     
    Die wenigen Monate, die ich mit Eva zusammen war, kamen mir wie Jahre vor. Sie war dreiundzwanzig, ich vierundzwanzig. Wir
     waren unendlich jung.
    Wir wussten so wenig, wir wussten nichts.
    Und Eva lernte Robert kennen.
     
    Robert kam mit Harro, Oliver und Lukas. Wie eine Horde Halbwüchsiger standen sie herum und starrten Eva an. Eva zuckte kurz
     zusammen, schüttelte allen die Hände, drehte sich zu mir um und nahm meine Hand. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich wäre
     am liebsten mit ihr fortgerannt. Dann stellten wir uns in die Schlange und sahen den Film. Eva saß zwischen Robert und mir.
     Sie lehnte sich an mich wie immer, sie schniefte wie immer und bat mich um ein Taschentuch. Als wir das Kino verließen, heulten
     Sirenen. Auf der Straße Blaulichter, Polizei, Rettungswagen. Am nächsten Tag erst hörten wir es: Es hatte einen Anschlag auf
     die Diskothek »
La Belle
« gegeben, zwei Menschen waren getötet worden und an die zweihundert verletzt.
    Wir wussten von nichts und wunderten uns und standen auf der Straße. Eva und Robert sahen verlegen aus; sie kickten beide
     unsichtbare Gegenstände im Rinnstein herum.
    Sollen wir noch was trinken gehen? fragte ich. Sollte ich doch an meiner Höflichkeit krepieren!
    Ich will nach Hause, sagte Eva zu meiner Überraschung, |65| nächstes Mal gern. Und sie schüttelte allen die Hand. Die Jungs waren verblüfft, Harro zog

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