Naechte am Rande der inneren Stadt
und demontierte jeden Satz, den ich sagte. Ich geriet ins Schwitzen. Eva zeigte
sich brillant und machte Witze über uns; ich staunte, da ich davon ausging, dass Theorie nicht ihre Sache war.
Wieso tust du immer so, als verstündest du nichts davon? fragte ich sie spät in der Nacht.
Ach weißt du, sagte sie und küsste meinen Hals, ich finde Theorien ganz amüsant, aber sie fesseln mich nicht wirklich. Nur
wenn sie auf Bilder anwendbar sind, wenn ich damit etwas besser begreife. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das Studium
abschließen will. Ich würde viel lieber etwas Praktisches machen.
Die Wahrheit war, dass Eva gern bildende Kunst studiert hätte, es sich aber aus irgendeinem Grund nicht zutraute. Sie war
oft traurig darüber, doch sobald sie vor Bildern und Zeichnungen stand oder sich von Skulpturen und Installationen begeistern
ließ, vergaß sie es. Sie ging in diesen Dingen auf.
Silvie war ein blasses, blondes Mädchen aus Köln, mit großem Busen und hochgestecktem Haar; sie trug, wann immer ich sie sah,
ausgesprochen feminine Kleider, anliegend, mit weitem |68| Ausschnitt. Ihre blassblauen Augen sahen mich groß und fragend an; ihr Mund war ungewöhnlich geschnitten, so als bildete die
Oberlippe zwei Herzen. Silvie schob auf hohen Absätzen so langsam in den Raum, dass jeder sich nach ihr umsah; sie war mir
schon bei einem unserer Atelierbesuche aufgefallen. An dem Abend, an dem ich für alle kochte, stellte sie sich zu mir und
hackte Petersilie.
Ich kann Männer, die auf Rollen festgelegt sind, nicht ausstehen, sagte sie freundlich.
Später trank sie eine Menge Rotwein, ohne dass man es ihr angemerkt hätte. Sie hielt einen langen Vortrag, bei dem ihr rheinländischer
Singsang immer stärker wurde und Eva sich vor Lachen ausschüttete, während die Männer am Tisch immer ratloser wurden.
Ihr könnd eusch dat jar nich vorstellen, sagte sie, was für einen Energieverschleiß wir Frauen täglich haben, in der Abwehr
männlicher Bestimmungen, wie wir aufzucken, weil FRAU ausgespart wird, in den Zeitungen, in den Büchern, in den Vorlesungen.
Stellt eusch mal vor, in der BIL D-Zeitung hieße die Schlagzeile
Streik der Aufseherinnen
, und die Männer wären mitgemeint, was dat fürn Aufstand gäbe! Und dann noch dieser dämlische Lacan, auf den jetzt alle so
scharf sind, der sagt auch noch
: La femme n´existe pas.
Die Frau existiert nit. Son Gorkes.
Ihr Französisch löste bei allen Heiterkeit aus. Eva hielt sich die Rippen.
Isch sach eusch mal eines, fuhr Silvie ungerührt fort, ehe isch mit meinem Freund über mein Seksual- und Geschleschtsleben
diskudiere, schlaf ich doch lieber mit ihm. Dann sach isch so för misch, bedauerlich, sehr bedauerlich, aber isch kannit anders,
weil isch es leid bin, dat lange Reden, und weil die Reaktion auf das Nicht-Wollen so massiv ist, dat isch et janz unangemessen
finde.
Ich wurde immer trauriger, als ich das alles hörte, während Eva sich offenbar nicht mehr einkriegte vor Lachen.
|69| Du musst das nicht so schwernehmen, sagte sie in der Nacht, Silvie ist wahnsinnig lieb und im Grunde zu gescheit, um so lieb
zu sein. Ihr Heinrich ist ein wunderbarer Mensch, der sie liebt, aber jetzt ist er für ein Jahr fortgegangen und hat sie mit
seinen ganzen Büchern in seiner Wohnung zurückgelassen. Sie liest eins nach dem anderen, um ihm nah zu sein, und wir können
sie auf die Dauer nicht halten, weil sie die Kunstgeschichte völlig schleifen lässt. Sie geht zu den Philosophen, weil er
Philosophie studiert hat, sie weiß inzwischen alles über die Kabbala und sämtliche jüdischen Denker von Benjamin bis Scholem.
Scheine macht sie, glaube ich, gar keine.
Ich war wie immer verblüfft.
Sie hat überhaupt kein Geld, redete Eva weiter, sie kriegt nur ganz wenig BAföG, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wovon
sie lebt. Sie hebt Rabattmärkchen von Butter-Lindner auf, die sie findet oder die sie sammelt, wenn sie dort Milch kauft,
was völlig unvernünftig ist, weil die Milch teurer ist als anderswo, aber sie sagt, nur dort schmeckt die Milch wie richtige
Milch, sonst trinke ich lieber Wasser. Wenn sie genug Marken auf einer Karte hat, kauft sie davon Nudeln.
Warum jobbt sie nicht? fragte ich. Du jobbst doch auch manchmal.
Silvie kann es nicht. Silvie ist nicht von dieser Welt, antwortete Eva, als wäre dies eine völlig logische und verständliche
Erklärung.
Eva gab ihr manchmal Geld, einmal
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