Naechte am Rande der inneren Stadt
bezahlte sie ihre Telefonrechnung, obwohl sie selbst auch nicht so viel hatte. Evas Vater
vertrat den Standpunkt, dass man im Leben besser zurechtkäme, wenn man finanziell nicht allzu sehr verwöhnt würde. Eva war
es unwichtig; wenn sie etwas brauchte, half sie im Buchladen aus, stand Modell oder machte sonst was. Silvie lieh uns im Gegenzug
für die Telefonrechnung wunderbare Schallplatten von ihrem fernen Freund; wir hörten Haydn, Schumann und Chopin rauf und runter,
was mir besser gefiel als Pop und Punk. Als Silvie einmal eine Karte für ein |70| Horowitzkonzert geschenkt bekam, war sie tagelang sprachlos vor Glück. Danach erzählte sie uns alles, bis zur kleinsten Fingerbewegung
des Pianisten.
Jahre später erfuhr ich durch Zufall, dass Silvie bei einem Austauschprogramm mit Studenten in Israel einen Kibbuznik geheiratet
und mehrere Kinder mit ihm bekommen hatte.
Weißt du, sagte Eva mitten in der Nacht nach der Kocherei, diese Institution
fester Freund
ist doch irgendwie blöde.
Wir zankten uns bis zum Morgen, denn ich sah in diesem Satz ihre Vorbereitung auf eine Untreue, was sie wiederum als eine
Unterstellung und weiteren Beweis meiner Projektionen und womöglich eigenen Wünsche interpretierte, so dass wir am Ende beide
weinten und sie schrie. Ich schreie nie; ich klammerte mich nur an sie und beschwor sie, das alles nicht zu glauben, ich sei
glücklich mit ihr und wolle es nur mit ihr sein.
Würdest du es mir beweisen, indem du mit einer anderen schläfst und dann doch bei mir bleibst?
Um Himmels willen, sagte ich, wieso sollte ich das denn tun? Ich wüsste nicht einmal, wie, geschweige denn, mit wem!
Wie kannst du dann so sicher sein, nur mich zu lieben? Vielleicht schläfst du mit einer anderen und findest es viel schöner
als mit mir?
Du spinnst ja völlig, sagte ich.
Leonhardt sagt, erst die auf jeden Besitz verzichtende Liebe ist die richtige.
Ich hatte es gewusst. Dieser Sportcenterphilosoph mit dem Botticellimund war schuld an allem. Ich drehte mich zur Wand und
sagte kein Wort mehr. Eva schubste mich, dann schlug sie meinen Rücken, nicht sehr, eher eine Reihe von Klapsen, dann umschlang
sie mich von hinten und fasste nach meinem Glied, das sich zusammengefältelt hatte wie eine verschrumpelte Socke.
Nein, Eva, sagte ich leise, so geht das nicht.
|71| Sie ließ aber nicht locker. Verzeih mir, murmelte sie, verzeih mir, bitte, bitte, und natürlich brachte ihre Hitze meine Schrumpelblume
zum Blühen.
Ich war ihr so entsetzlich ausgeliefert! Immer wieder musste ich feststellen, dass ich sie in Situationen, in denen ich mich
im Grunde schwach und hilflos fühlte, am meisten begehrte. Ich wurde zu reinem Verlangen. Und zu meinem großen Erstaunen liebte
sie mich in diesen Momenten besonders hitzig und hingebungsvoll.
Beim Büffeln erholte ich mich nur halbwegs von unseren verwirrenden Nächten. Wir waren viel zu unerfahren, um all diese Dinge
zur Sprache zu bringen, denen ich im Nachhinein Namen gebe, als hätte ich sie schon damals begriffen. Damals fühlte ich mich
vor allem hin- und hergeschleudert zwischen vollkommenem Glück und vollkommenem Unglück.
Ich lebte so intensiv wie nie. Heute weiß ich das. Wahrscheinlich haben das auch die paar Frauen gespürt, mit denen ich später,
nach Eva, zusammen war.
Komisch, dass zwischen Irene und mir überhaupt etwas angefangen hat. Es muss eines der produktiven Missverständnisse des Lebens
gewesen sein, die daraus resultieren, dass wir uns selbst so schlecht kennen. Ich mochte ihr lebhaftes Lachen und ihre spitze
Zunge, ich dachte, sie wären nur ein Teil von ihr, und nicht ihr Wesen. Wie Eva verliebte sie sich in meine altmodischen Anzüge,
mit dem Unterschied, dass sie gerade angesagt waren; sie ahnte nicht, dass darin einer steckte, der noch nie mit der Mode
gegangen war, sondern sein ganzes Leben diese Anzüge trug. Irene wurde stutzig, als sie versuchte, mir eine angeblich dazu
passende Brille aufzuschwatzen, eine mit starken schwarzen Rändern, wie andere Männer sie zu dieser Art Anzügen trugen.
Irene hatte zwei Seelen in ihrer Brust: die sentimentale und |72| die merkantile. Die sentimentale verwechselte sie mit einer Neigung zu den Künsten; die merkantile setzte sich durch. Zuletzt
machte sie eine Ausstellung im alten Puff am Savignyplatz, vor dem früher immer die langbeinigen Nutten mit den hohen, glänzenden
Stiefeln gestanden hatten und mich jedes Mal in
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