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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Wolken oder ein
     Metall, wie Robert es ja gesagt hatte, Robert, der immer recht hatte, Robert, der alles wusste, nur eines nicht: Dass die
     Liebe stärker sein kann als der Wunsch zu beherrschen. Dass es eine Lust ist, von der Liebe zu einem anderen beherrscht zu
     werden. In meinem tiefsten Kummer triumphierte ich: über Leonhardts kalte Intellektualität, über Roberts unwissenden Zynismus,
     über mein eigenes Konzept der Vernunft.
    Ich revidierte meine Vorstellung vom Menschen.
    Der Mensch beginnt erst zu denken, wenn die Leidenschaften ihn packen.
     
    |95| Es hatte keinen Sinn, mir etwas vorzumachen. Ich saß nackt auf meinem ungemachten Bett, starrte meine ungeputzten Schuhe an,
     rauchte langsam eine Zigarette nach der anderen und wollte nur eines: Eva.
    Solange Eva es mir erlauben würde, in ihrer Nähe zu bleiben, würde ich sie lieben. Neben ihr atmen, mit ihr aufwachen. Auch
     wenn sie es nicht verstand. Solange sie es nur duldete.
     
    Ich lebte weiter mit ihr, als wäre nichts geschehen, und eines Nachts lag ich wieder auf ihrem Küchenboden. Ich weiß nicht
     mehr, weshalb, was vorgefallen war und welcher Teufel es mir eingeflüstert hatte. Ich lag auf dem harten Boden und fühlte
     mich getröstet. Ich fühlte das blaue Linoleum unter meinem Bauch und meinen Beinen. Ich wollte, dass Eva käme und mich liebte,
     wie ich war: Mit dieser Lust, mich zu erniedrigen, worin ich keine Erniedrigung sah, mit meiner Lust, nicht wichtig zu sein,
     mit dieser vollkommenen Lust, ihr zu dienen.
    Eva kam nicht. Das heißt, sie kam lange nicht. Als die Nacht am stillsten war, stand sie im Nachthemd vor mir und sagte sehr
     gefasst: Du machst, dass ich mich schäbig fühle. Ich weiß nicht, wie ich damit klarkommen soll.
    Ich lag ganz still auf dem Boden und hörte ihre Stimme. Ich hatte ihre Stimme so oft gehört, sie war mir in all ihren Nuancen
     vertraut, weich, klirrend, kumpelhaft, rauhbeinig, zärtlich, trocken, humorvoll. Jetzt klang sie ganz tonlos. Es machte mir
     Angst. Es war, als spräche gar nicht meine Eva, sondern eine andere. Eine Sekunde dachte ich, die da spricht, ist Milena,
     oder schlimmer noch, Lilja, wegen der Majakowski sich das Leben genommen hat. Aber ich wusste, dass ich mich selbst belog,
     wenn ich das glaubte. Nein, nein, dies war meine Eva, die sprach.
    Warum, sagte sie, habe ich mich am Anfang nicht langsamer auf dich eingelassen? Warum konnte ich dich nicht gleich sehen,
     wie du bist? Du hast es doch selbst gesagt, dass du am |96| liebsten
unpersönlich
sein möchtest,
distant
. Ich hätte einmal nachhaken sollen, was das für dich heißt!
    Warum, fragte sie, nun etwas weicher, warum liebe ich dich?
    Ich fühlte sie näher kommen. Sie kniete neben mir auf dem Boden.
    Konrad, ich will das nicht! Ich will keine sein, die so einen liebt! Verstehst du das?
    Mir liefen die Tränen aus den Augen. Niemals hatte ein Mensch so mit mir gesprochen. Ich spürte, dass sie nicht fühllos war,
     sondern verzweifelt. Ich setzte mich auf und nahm sie in die Arme.
    Ich will nicht, dass du dich meinetwegen schäbig fühlst, sagte ich, aber ich liebe dich doch so sehr.
    Ich fühle mich schuldig, sagte sie, ich verabscheue mich.
    Wir griffen uns gegenseitig in die Haut, bis sie wehtat und aufriss, und die ganze Zeit sagten wir kein Wort, hörten uns nur
     atmen.
     
    Im Morgengrauen fragte ich nach dem anderen Mann. Sie wollte es nicht sagen. Ich flehte sie an, dieses eine Mal sollte sie
     es mir sagen.
    Warum hast du es getan?
    Sie zog die Knie an den Körper, legte den Kopf darauf und wiegte sich hin und her.
    Ich weiß nicht, Konrad. Muss ich immer wissen, warum ich etwas mache?
    Aber du kannst doch mit mir schlafen!
    Mensch, Konrad, ich wollte einfach mal mit einem schlafen, mit dem ich mich frei fühle. Nur so. Der unabhängig von mir ist
     und sich einfach nur an mir freut und ich mich an ihm. Ohne – sie zögerte   –, ohne dieses ganze komplizierte Zeug.
    Komfort ohne Konsequenzen, schoss es mir durch den Kopf, oder wie hatte Leonhardt gesagt: Manche Gespräche haben keine Folgen.
     Ich lernte schon wieder etwas Neues: Meine Hingabe verletzte sie.
    |97| Es kam nur langsam bei mir an. Es schmeckte bitter. Es war, als schnitte mir jemand bei örtlicher Betäubung die Hand auf,
     um mir zu zeigen, wie sie innen aussah, und ich starrte darauf, als gehörte sie nicht zu mir.
    Ich trug Eva in ihr Bett. Ich betrachtete ihre dunklen Locken, die sie um meinetwillen kurz geschnitten hatte und die nun
    

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