Naechte am Rande der inneren Stadt
wird einmalig.
Nun setzte ich mich auf. Die Erfindung klang plötzlich verdammt nach Geständnis.
Du triffst ihn also öfter, sagte ich.
Eva sah mich verwirrt an.
Du wolltest doch eine Geschichte hören, sagte sie.
Ja, sagte ich.
Sie sah mich streng an. Dann sagte sie schnell und hart, als wollte sie mich bestrafen:
Sie verbrachten fast jede Nacht miteinander, ohne recht wahrzunehmen, was da geschah. Ihre Körper fanden immer mehr Gefallen
aneinander, und sie ließen sich immer mehr ineinanderfallen. Sie schliefen Arm in Arm, jede Nacht, und wenn sie die Augen
aufschlug, lächelte er sie an. Er war brüsk gewesen in der Nacht –
Hör auf, sagte ich und hielt mir die Ohren zu, es reicht!
Zum ersten Mal hatte ich Lust, meine Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken. Stattdessen fragte ich: Liebst du mich?
Sie nickte. Wir umarmten uns, wir krallten uns aneinander fest.
|103| Sie wollte mir keine Geschichten mehr erzählen. Ich wurde verrückt daran. Ich wollte alles von ihr wissen. Ich wollte die
Geschichte hören, in der aus dem Nichts-Wollen ein Alles-Wollen wurde. Ich wollte Antworten. Mit wem man in Freiheit umgehen
will, den muss man sehr gut kennen. Das galt auch für mich selbst.
Doch das Ausbleiben der Antworten hinterlässt Blessuren, unheilbare, sie töten etwas. Also töten wir.
Hätte Eva sich mir gegenüber so verhalten, wie ich mich ihr gegenüber verhielt, was hätte ich gedacht? Das hat Gott Amor geschickt
eingerichtet in der Welt, dass wir anderen zufügen, woran wir selber leiden. Schweigende Fluchten hat er großzügig verteilt.
Das Gesicht ist die Seele des Körpers
, sagt Wittgenstein. Das ist nicht richtig. Der Körper ist das Gesicht der Seele, so muss es heißen. In Evas Fall auf jeden
Fall.
Lilja war eine Exzentrikerin, und Majakowski liebte sie wie ein Hund. In seinen Briefen an sie zeichnete er immer ein Hündchen.
Ich bin Majakowski, auch wenn Robert glaubt, dass er es ist, weil er die Verse macht. Ich bin der Hund, der Eva die Kehle
hinhält und bettelt; nein, ich tue es nicht, aber nur, weil ich weiß, dass sie mich dann noch mehr verabscheuen würde.
12
Eva hörte auf mit mir zu schlafen.
Ich nahm es mit Erleichterung an.
Es war Hochsommer. Die Stadt lebte in den Bädern. Ich hasste Bäder.
Wir sahen uns weiterhin.
Ich sah sie auch mit anderen.
Dann bat sie mich, sie nicht zu sehen.
Der Mond stand hoch in diesem Sommer, und ich lief durch die Stadt, allein.
|105| II.
Das Gedächtnis der Farben
|107| 1 (Schönheit)
Das Mädchen steht in ihrem Zimmer. Sie schaut auf die Blumenkästen, in denen Unkraut wuchert; in die Mittagsstille des Hinterhofs
klingt die Stimme des Jungen, der über ihr wohnt, sie sieht die Töne schweben. Die Sonne braucht noch eine halbe Stunde, dann
wird sie bei ihr sein. Der Kater ist schwarz. Er sitzt neben dem Mädchen, dessen Füße aneinanderstehen, die Hände ineinandergelegt,
die Brust geradeaus, wie eine Tänzerin. Sie schaut. Sie hat ihre Wohnung aufgeräumt, mit einer Freundin gesprochen, in Zeitungen
geblättert. In der Nacht träumte sie von ihrem Freund und von dem geteilten Land, in dem sie lebt, der geteilten Stadt, er
wartete auf der anderen Seite der Grenze...
Nie wieder wird sie diese Grenze überschreiten, die Grenze zwischen dir und mir, Konrad und Eva, ein anderer ist gekommen
und hat sich mittendrauf gestellt.
Er hat eine trockene Haut, dichte rotbraune Büschel in den Achseln, an der Scham, auf der Brust, den Beinen, überall; ein
ganz neues Gefühl zum Streicheln. Ausgiebig, sanft, Küsse auf den Holzplanken seiner Wohnung, Küsse in frischer weißer Wäsche,
auf seinem blauen Ausklappsofa, ich in meinem schwarzen Unterkleid, das er hochschiebt, bevor er meinen |108| Bauch streichelt... durch die Haare fahren, den Hals berühren, seine Zähne sind weiß, gerade, mit winzigen Abständen, er hat
erste Fältchen. Das rotbraune Haar fällt ihm sanft um das eckige Gesicht.
Er schiebt eine Strähne hinter das Ohr.
Der, mit dem sie seit einiger Zeit schläft –
was an Konrad mädchenhaft weich ist, die Kontur, die Hautbeschaffenheit, ist an ihm fest, sicher, selbstverständlich; so macht
er Liebe; fest, sicher, selbstverständlich –
erzählt mir von seiner
festen
Freundin und den
Verhältnissen
, die er mit anderen Mädchen hat; er sagt, er halte nichts von diesem Wahrhaftigkeitswahn, man solle nicht immer alles erzählen.
Er meint die Freundin damit, nicht
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