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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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sich einlässt.
    Ich hörte auf zu lesen. Warum soll ich das lesen? fragte ich. Du machst ihm eine Liebeserklärung und glaubst, dass du mir
     damit Sicherheit gibst?
    Lies weiter, sagte sie. Bitte. Sie saß am Fenster und das Licht fiel von der Seite herein auf ihr Gesicht. Ihre Augen waren
     von einem sehr hellen Grün und ihre Haut sah durchsichtig zart aus. Ich entdeckte winzige Sommersprossen. Die Sonne berührte
     ihre Schultern und die geöffnete Fensterscheibe spiegelte ihr Profil; von der Oberlippe zur leicht gewölbten Nase verlief
     ein eigenwillig aufgeworfener Schwung.
    Vor diesem Profil bin ich machtlos, dachte ich und las weiter.
    Ich bin unsicher, wie sich das Band zwischen uns gestalten soll, schrieb Eva, ich kann nicht so tun, als hätte ich deine Blicke
     nicht bemerkt und als hätte ich dich niemals angeschaut
.
Ich bin offen und ich bin verletzbar, da ist es besser, mich an meiner Weltzugehörigkeit festzuhalten. Die Last, andere zu
     verletzen, weil ich mir selbst nicht berechenbar bin, ist schwer zu tragen. Ich glaube fest daran, dass freie und beglückende
     Verhältnisse zwischen Menschen möglich sind
.
Ich bin keine Spielerin, es ist keine Koketterie in meinem Mich-selbst-Offenlegen. Es ist nur an der Zeit, mal so mit dir
     zu sprechen.
    Mir war beim Lesen schwindelig geworden; ich bekam wieder diese Schwierigkeiten mit den Augen; die Zeilen verrutschten, ich
     musste die Sätze teilweise buchstabieren. Wieso offenbarte sie sich ihm? Ich war nun noch verwirrter als am Anfang, aber Eva
     strahlte mich an, als hätte sie mir soeben ihr Treuesiegel gegeben. Sie lachte, sprang auf und küsste mich.
     
    |93| Die nicht, sagte ich beim nächsten Treffen zu Robert.
    Zur Sicherheit. Weil ich nicht wusste, wie er diesen Brief deuten würde, der mir ein vollkommenes Rätsel war, von Eva aber
     offenbar als Ausdruck ihres Zu-mir-Stehens aufgefasst wurde.
    Von ihr lass die Finger, ich flehe dich an.
    Robert nickte.
    Es sah ehrlich aus.

9
    Im Juni eröffnete mir Eva, sie habe mit einem anderen geschlafen. Nur einmal bisher, aber sie wüsste nicht, ob es nicht wieder
     vorkäme, und sie fände es besser, es mir zu sagen als sich in irgendein Lügengespinst zu verwickeln.
    Es war nicht Robert.
    Ich wusste nicht, wer es war. Sie wollte es nicht sagen. Kenne ich ihn? hatte ich nur gemurmelt, nein, hatte sie gesagt.
    Ich sagte überhaupt nichts. Ich sagte nichts, ich fühlte nichts, ich war leer vor Kummer und Angst. Es geht vorüber, dachte
     ich.
    An dem Abend, an dem sie es mir sagte, fuhr ich Eva zu einer Adresse, die sie mir nannte und bat sie – ohne auch nur eine
     Sekunde nachzudenken   –, mich anzurufen, wenn sie heil wieder zu Hause angekommen wäre.
    Sie rief mich morgens um sechs an.
    Sie war verrückt. Sie war brutal und gefühllos. Sie war naiv und sorglos. Ich weiß nicht, was sie war.
    Ich fühlte mich wie einer, dem das Gesicht weggerissen wird, dann wieder, als würde mich jemand in Eiswasser tauchen, ich
     bekam keine Luft, wollte schreien. Die Eifersucht wütete in mir, doch ich beherrschte mich. Mimte den Verständnisvollen. Zu
     wissen, was sie tat, gab mir das Gefühl, bei ihr zu sein. Wenn ich sie in dieser Situation einenge, dachte |94| ich, verliere ich sie für immer. Ich wusste nicht, ob ich noch mit ihr schlafen wollte oder nicht.
    Du riechst fremd, sagte ich, kaum bei ihr, geh dich waschen.
    Sie wusch sich an ihrem Waschbecken und kroch zu mir unter die Decke. Sie weinte. Sie umarmte mich.
    Die Freiheit ist so schrecklich anstrengend, sagte sie. Halt mich fest.
     
    Ich hielt sie nicht fest genug. Sie aß immer weniger; sie wusch sich manche Tage nicht; sie lief zwei Wochen im selben Hemd
     und in derselben Hose herum, bis ich sie ihr wegnahm.
    Ich kann nicht dir allein treu sein, sagte sie, du liebst mich zu sehr. Du liebst sogar das Leid, das ich dir zufüge, es bringt
     mich um.
    Ich küsste sie, ich wusch sie, ich kochte für sie; ich sagte ihr, dass es mich glücklich mache, mich zurückzunehmen.
    Ich liebte sie mit jener Verdrehtheit des Herzens, die sich selbst verletzt und dafür noch mehr liebt.
     
    Ich machte mich zu einem Nichts. Das Nichts, das ich immer hatte sein wollen, in meinem schattigen Souterrainzimmer, der Mann,
     der leicht gebeugt im Rücken ist, der nicht schön ist, aber freundlich, der Mann, der niemanden verletzen will, dessen Lippen
     zittern, wenn sie die Lippen der Geliebten berühren, dieses Geschenk, das uns zuteil wird, flüchtig wie die

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