Naechte am Rande der inneren Stadt
dich von mir erholen
–
Ach all die klugen Männer, die von der Vernunft sprechen und die Gefühle beherrschen wollen! Bei denen die Bewegung des Geistes
ein Rondo tanzen soll und die doch dieser Welt nicht entgeht! Ein System auf das andere stülpen! Eines nach |248| dem anderen zerschlagen! Zerstören, was uns hält, weil wir uns lieber auf nichts verlassen als zu vertrauen und uns fallen
zu lassen!
Ich höre den Schlüssel im Schloss sich drehen, ich höre die Tür gehen, ich fühle meinen Puls in den Schläfen rasen – und dann
– nichts, nichts, nichts.
Bin ich verrückt oder er?
Ich gehe nicht ans Telefon; ich stecke den Schlüssel von innen ins Schloss, dann kann er nicht aufschließen.
Ich sitze vor dem Telefon und überlege, ob ich Konrad anrufe oder Heumann oder Leonhardt. Ich ziehe mich schön an und schminke
mich. Ich trinke ein großes Glas Cognac, ich hatte noch einen Rest von irgendeinem Fest. Ich kämpfe den Impuls herunter, sofort
fremdzugehen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht funktioniert. Ich muss mich dem hier stellen, blank, ohne Ablenkung, dann
begreife ich vielleicht etwas. Wenn ich nur wüsste, was! Ich muss mich aussetzen.
Rosemarie Trockel nimmt die Bilder beim Wort. Sie nimmt den Faden auf und fängt an zu stricken. Sie strickt Bilder und bannt
die Magie des Labyrinths.
Ich bin noch Meilen davon entfernt, das, was an mir reißt, in eine Form zu bringen.
Du fesselst mich, auch wenn du mir keine Schnüre um den Leib bindest. Du erniedrigst mich, wenn du dich von mir abwendest;
lieber wäre es mir, du würdest auf mich pinkeln und dich darin zeigen. So denke ich.
Wenn es im Wesen der Erotik liegt, sich dem Tod entgegenzustellen, wenn es eine Art ist, an den Himmel zu denken –
Dann will ich mich gern an dieses Auf und Ab gewöhnen.
|249| Die Sonne scheint, die Bäume schlagen aus, die Welt kümmert sich nicht um unsere Belange. Robert schreibt auf einen Zettel:
Aufforderung zum Tanz – die Musik setzt aus – brennende Liebe
Ich möchte seinen Zettel verbrennen, aber es ist Sommer, ich mache den Ofen nicht an. Ich lese ihn und lege ihn auf meinen
Bauch.
Gestern wollte er nicht.
So lösen wir nicht unsere Missstimmungen, sagte er.
Heute will ich nicht. Mir steckt der gestrige Tag in den Knochen.
Heißt Freiheit jetzt: Sich-verlassen-können? Selbstbehauptung ist ein Kinderspiel, solange man allein ist. Mit diesem Menschen
kann ich mehr erfahren als mit anderen.
Weißt du, sagt er zärtlich, ich habe Angst vor dem Gefängnis Liebe. Gib mir eine Chance, dass ich da herauskomme, dann wird
alles gut. Ich muss mich von dir losreißen, um mit dir zusammen zu sein.
Er sieht mich an, lächelt bittend, ich sehe ihn an, eine Sekunde sind wir beide ohne Schale, ohne Panzer, ohne Wollen, voreinander.
Ich lehne nackt an seinem Rücken, er streichelt meinen Körper –
Die erotische Liebe ist ein Labyrinth. Weh der, die den Faden verliert. Misstrauen wuchert und zerfrisst ein Gewebe aus Zärtlichkeit.
Ich webe es neu.
|250| – Einschluss / Erinnern 2006 –
Robert verfiel Eva. Ich beobachtete die beiden von Weitem und hielt sie für das größte Liebespaar des Jahrhunderts. Die Luft
um sie herum vibrierte vor Intimität, Erotik und Geheimnis.
Ich habe damals nie geweint. Falsch. Ich habe mich nie daran erinnert, geweint zu haben. Hätte ich Heumann nicht wiedergetroffen,
es wäre allein meine Geschichte gewesen, und ich hätte sie vergessen. Wer weiß, warum sie mich auf diese Weise eingeholt hat.
Ich habe die ganze Nacht in László F. Földényis Buch ›Melancholie‹ gelesen und bin heute nur mit Mühe aus dem Bett gekommen. Die ganze Zeit habe ich das Bedürfnis,
Eva anzurufen. Földényi spricht von der Würde der Schwermut. Ihrer Erkenntnisgabe. Er sagt, der Melancholiker stößt an die
Grenzen des Menschen, dorthin, wo er sich vollkommen fremd und einsam fühlt. Nachdem ich Eva verloren hatte, begab ich mich
an die Grenzen meiner Verdrängungskapazitäten und wurde schwermütig, ohne einen Begriff davon zu haben. Ich ertappte mich
nur manchmal dabei, dass ich auf mein weißes Bettlaken starrte und dachte, es ist so eine Leere in der ganzen Welt. Das hatte
ich aber lange vergessen, das fiel mir letzte Nacht erst wieder ein. Ich sehe es genau vor mir, wie ich mit dem Bettzeug in
der Hand stehe und starre.
Einmal ging ich in ein Pornokino. Ich betrat den Vorraum, warf mein Geld in einen
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