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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Schlitz und stieg eine schmale Treppe hinauf.
     Ich kam in einen dunklen Vorführraum, nicht sehr groß, fast wie ein Wohnzimmer. Der Super- 8-Projektor hing an der Decke. Auf den Stuhlreihen saßen verteilt vielleicht zehn andere Männer. Manche nebeneinander, die meisten hielten
     Abstand. Über die Leinwand flimmerten nackte Körper. Ich sah männliche und weibliche Geschlechtsorgane, direkt, viele, mehrere,
     ein großes Durcheinander. Hörte Stöhnen. Auffordernde Sätze
. Ich besorg’s dir, aber richtig.
Ich ließ |251| mich auf einen Sitz fallen und in einen seltsamen Erregungszustand, in dem ich das tat, was alle anderen Männer auch taten.
     Plötzlich glaubte ich, in einem der Frauenkörper Evas Rücken zu erkennen. Es durchzuckte mich für eine Sekunde, dann war es
     vorbei.
    Als ich hinaus auf die Straße kam, fühlte ich mich splitternackt.
    Augenblicklich wurde mir klar, wenn ich dort suchte, was mir fehlte, würde ich süchtig, weil ich es nie bekäme. Die Lust an
     der Entladung war trügerisch. Die Lust mit Eva war eine andere gewesen. Nach ihr sehnte ich mich.
    Ich gab mich nicht auf, denn ich bin ein Mensch, der geliebt wurde, von meinen Eltern, bevor ich sie verlor, von meinen Großeltern,
     besonders meinem Großvater. Dieser besonnene Mann, der viel mehr vom Leben wusste als er zu verstehen gab. Als ich zu ihm
     kam, war er für mich ein großer, stattlicher Mann, aber jetzt habe ich ihn oft so vor Augen, wie er in seinem Lesesessel las,
     in seiner Hausjacke, wie er die alte, abgewetzte Strickjacke nannte, den kahler werdenden Schädel über ein Buch gebeugt, wie
     er manchmal einnickte, als er immer müder wurde. Er hat seinen Sohn überlebt, was ich als das Grausamste empfinde, was ich
     mir vorstellen kann, das eigene Kind zu verlieren; doch er hätte dem Leben gegenüber niemals eine Schwäche gezeigt und mir
     gegenüber schon gar nicht. Bis zuletzt machte er morgens seine Kniebeugen bei offenem Fenster, doch ich kann mich nicht erinnern,
     dass er gegen sich oder andere jemals hart gewesen wäre. Nicht unnötig hart jedenfalls. Als Arzt musste er manchmal unliebsame
     Entscheidungen durchsetzen und verlangen. Mir ist entfallen, wie er damals im einzelnen mit mir umgegangen ist, als ich so
     unglücklich war; ich weiß nur, dass er einen alten Freund in England anrief, ob ich nicht für eine Zeit ein Praktikum dort
     machen könnte. Ja, Opa wusste wohl um die schöne gebrechliche Einrichtung der Welt und was man ihr entgegenzusetzen hatte.
     
    |252| Unser Kosmos splitterte auf; der kleine, den wir mit unseren Freunden bildeten, weil jeder eigene Wege beschritt; der große,
     weil die Vorstellung, ein jeder möge sein eigener Unternehmer sein, sich immer stärker durchsetzte; es wurde zum geflügelten
     Wort zu sagen,
meine Firma und ich
, wenn wir eigentlich nur von uns selber sprachen. Die Mauer wurde porös, die uns umgab, von zwei Seiten waren die Menschen
     oft genug dagegengerannt. Ein neues Zeitalter bereitete sich vor, das eine radikale Öffnung der Welt mit sich bringen würde.
     
    Eva. Was auch immer ich an ihr erlebt habe, es blieb das Bild der liebeslustigen, leichtsinnigen, übermütigen jungen Frau.
     Ihr Blick, wenn sie zu mir sagte: Du riechst so gut, in deinem gebügelten Hemd. Komm, ich will dich küssen!
    Ich habe damals vielleicht nicht das Vertrauen in das Leben verloren, doch ich glaube, ich bin lange Zeit wie betäubt durch
     es hindurchgewandert, habe gegessen, geschlafen und gelernt und meine Schultern noch ein Stück tiefer rutschen lassen.
    Ich sah Harro und Oliver manchmal, um ins Kino zu gehen, und wenn wir uns gegenseitig nach Robert fragten, verdrehten die
     beiden nur die Augen und machten eine obszöne Geste. Wir trafen uns nur noch selten. Robert ging es wie mir zuvor: Er hatte
     kaum noch Zeit für die Jungs oder mich. Ich wusste ja, was es hieß, mit Eva zusammen zu sein; man kriegte nie genug Schlaf.
     Eva erzählte mir, wenn ich sie sah oder anrief, nichts mehr wie früher. Schließlich schenkte ich ihr zum Abschied ein Armband.
     Am liebsten hätte ich ihr einen Ring geschenkt, aber den hätte sie niemals angenommen.
    Sie war meine Sonne, ich war ein Planet, doch unaufhaltsam flog ich aus ihrer Bahn.
    Nur durch Zufall geriet ich einmal wieder hinein.
    Wir trafen uns auf der Straße, in Kreuzberg. Es muss Juli oder August gewesen sein, 1987, im Jahr unserer Trennung. Die Stadt
     ächzte unter der ungewohnten Hitze und Schwüle; |253| überall wurden

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