Nächte des Schreckens
zeigen werde...«
Damit ist der Fall geklärt. Frank Newton erhält seine weiteren hundert Dollar, und Karl Stielow wird offiziell des Mordes angeklagt.
Am 15. Juli jenes Jahres wird der Prozeß gegen ihn eröffnet. Sheriff Barlett ist sehr zufrieden. Die Ermittlung ist zügig durchgeführt worden, und sie hat nur zweihundert Dollar gekostet. Die Finanzen des Bezirks sind nach wie vor in Ordnung, und er hat seine Pflicht bestens erfüllt. Der Vorsitzende Richter ist hingegen weniger zufrieden. Nachdem er den Angeklagten befragt hat, der weiterhin seine Unschuld beteuert, weist er auf einige grobe Unstimmigkeiten hin. So hat man zum Beispiel das gestohlene Geld bis heute nicht gefunden. Um aber die Kosten für die Niederkunft seiner Frau begleichen zu können, hat Karl Stielow sogar seine einzige Kuh verkaufen müssen. Das ist doch immerhin recht merkwürdig!
Die Geschworenen, alles brave Leute aus dem Bezirk Orleans, sind verärgert. Wenn der Angeklagte unschuldig ist, wird es eine neue Untersuchung und einen neuen Prozeß geben, und all das kann teuer werden. Natürlich wollen sie an keinem Justizirrtum schuldig sein, aber sie wünschen sich von ganzem Herzen, Karl Stielow möge der Täter sein. Und dann kommt der entscheidende Moment: das Auftreten des >diplomierten Sachverständigen< Albert Hamilton. Mit großer Überzeugungskraft behauptet er, die Kugeln seien aus der Waffe des Angeklagten abgeschossen worden, und dann zieht er mit theatralischer Geste eine Serie von Photos hervor, die er bei den Richtern und den Geschworenen reihum gehen läßt. »Wie Sie sehen, meine Herren, sind die Riffelungen deutlich erkennbar!« Bedauerlicherweise ist auf den Photographien nicht die geringste Riffelung zu sehen. Als der Vorsitzende ihn darauf aufmerksam macht, gerät Albert Hamilton keineswegs aus der Fassung. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, erklärt er: »Das kommt daher, daß ich die Kugeln versehentlich von der falschen Seite aus aufgenommen habe.«
Karl Stielows Verteidiger, ein Anfänger, der sehr beeindruckt zu sein scheint, erstmals vor einem Schwurgericht auftreten zu dürfen, erhebt keinerlei Einwände. Und so wird sein Mandant am Ende der Verhandlung zum Tode verurteilt.
Die Geschworenen aus dem Bezirk Orleans sind mit dem Ergebnis zufrieden. Sie brauchen sich nichts vorzuwerfen, denn sie haben nichts anderes getan, als den Ausführungen des Experten zu folgen. Der Prozeß ist zügig abgewickelt worden, und die Sache hat fast nichts gekostet!
Juli 1916. Seit einem Jahr wartet Karl Stielow, der wegen Mordes an seinem Arbeitgeber und dessen Haushälterin zum Tode verurteilt worden ist, auf den elektrischen Stuhl. Mit wachsender Verzweiflung beteuert er nach wie vor seine Unschuld, und nachdem eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wurde, sind alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Wie es in den Vereinigten Staaten allerdings häufig vorkommt, ist das Datum der Hinrichtung ebenfalls verschoben worden.
Und doch ereignet sich in diesem Jahr 1916 etwas Entscheidendes: Der Staat New York, zu dem auch der Bezirk von Orleans gehört, hat einen neuen Gouverneur gewählt. Dieser läßt sich die Akten der Todeskandidaten vorlegen, und der Fall von Karl Stielow erregt sein besonderes Interesse. Er beschließt, eine neue Untersuchung durchführen zu lassen.
Zehn Polizeibeamte des Staates New York erscheinen daraufhin in der kleinen Stadt West Selby und beginnen, die Bewohner erneut zu befragen. Sie werden mit großem Widerwillen empfangen. Was wollen diese Polizisten denn nur von ihnen? Der Prozeß ist doch längst abgeschlossen, oder etwa nicht? Es kommt jedenfalls nicht in Frage, daß ein neuer Prozeß auf Kosten ihres Bezirks geführt wird, und überhaupt, wer soll all diese Polizisten bezahlen? Nachdem die Beamten eine Woche lang vergeblich ermittelt haben, entschließt sich einer der Bewohner von West Selby dennoch auszusagen, was er weiß. Es ist einer von jenen, die Sheriff Barlet am Morgen des Verbrechens zu der Farm begleitet hatten. »Es gibt da einen gewissen Chuck O’Connors... Er hielt sich an dem Tag in der Stadt auf.«
»Wer ist dieser Chuck O’Connors?«
»Ein Landstreicher, ein richtiger Tunichtgut, aber nicht bösartig. Zumindest glaube ich das. Trotzdem ist es seltsam, denn als ich damals von der Farm zurückkehrte, lief er mir über den Weg, und da sagte er zu mir: >Sie waren wohl bei Phleps, und sie sind beide tot, wie?<«
Der Mann überlegt einen Moment und fährt dann fort:
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