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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Hauptmann?«
    »Noch nicht, Sergeant. Es sind noch anderthalb Minuten bis zur Stunde Null. Bertoux, sehen Sie das da unten? Das ist Douaumont. Sie werden die Festung ganz allein sprengen. Sie sind ein Held, Bertoux!«
    Der ehemalige Soldat sieht die düsteren Umrisse der Festung hinter dem Stacheldraht wieder vor sich. Bei ihrer Erstürmung hatte er damals in vorderster Reihe gekämpft. Und dann war da nur noch lautes Gebrüll und ein plötzlicher Blitz, und dann war alles um ihn herum dunkel geworden...
    Bertoux faßt sich an den Kopf. Oh, nein, bloß nicht jetzt! Das kann er sich jetzt nicht erlauben. Da der Angriff in fünf Minuten losgehen soll, hat er keine Zeit, den Kopf unter den Wasserhahn zu halten.
    Erneut sieht er auf die Uhr und befiehlt mit der Stimme des Hauptmanns: »Sergeant, bereiten Sie die Zündung vor!« Bertoux schlägt die Hacken zusammen, begibt sich zu den achtunddreißig Benzinkanistern und öffnet einen nach dem anderen, worauf sich ein durchdringender Geruch im Zimmer verbreitet.
    Als der letzte Kanister geöffnet ist, konsultiert er abermals seine Uhr: In dreißig Sekunden ist es Mitternacht. Er holt eine Schachtel mit Streichhölzern, nimmt stramme Haltung an und beginnt die >Marseillaise< zu intonieren. Als er bei der Zeile angelangt ist: >... le jour de gloire est arrivé<, entzündet er ein Streichholz und hält es an einen der Benzinkanister...
    Jérôme Lefèvre wäre beinahe vom Fahrrad gestürzt. Als er die Straße erreicht hatte, wurde er von der Druckwelle der Explosion erfaßt und fast zu Boden geschleudert.
    Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrt er auf das Schauspiel, das sich ihm jetzt bietet: Das ganze Gebäude ist in Flammen aufgegangen und brennt wie eine Fackel. Das Feuer schießt in Geysiren heraus und züngelt mächtig gegen den Himmel.
    Jérôme muß an die Napalmbomben denken, die er manchmal in der Wochenschau gesehen hat. Der Vergleich drängt sich ihm unwillkürlich auf.
    Er steigt von seinem Fahrrad ab und bleibt wie versteinert stehen. Dann murmelt er: »Wenigstens haben sie nicht gelitten...«
     

S INN FÜR S PARSAMKEIT
     
    23. März 1915, gegen sechs Uhr morgens. Eine dichte Schneeschicht bedeckt seit dem Vorabend die im Kolonialstil erbauten Häuser der kleinen amerikanischen Stadt West Selby im Bezirk Orleans.
    Der fünfundzwanzigjährige Karl Stielow, Landarbeiter bei Gregor Phleps, kommt auf dem tief verschneiten Pfad nur mühsam vorwärts. Schwerfällig stapft seine mächtige Gestalt durch die Landschaft, in der außer ihm noch niemand unterwegs ist.
    Offensichtlich hat er sich in aller Eile etwas übergezogen. Seine Füße stecken in dicken Stiefeln, und über dem Pyjama trägt er einen unförmigen Wintermantel.
    Endlich ist er bei der Farm seines Arbeitgebers angelangt und ruft mit rauher Stimme ins Innere des Hauses: »Mister Phleps?«
    Keine Antwort. Er macht ein paar Schritte auf den Eingang zu und stolpert, noch immer etwas schlaftrunken, über den reglosen Körper einer Frau im Nachthemd. Er beugt sich hinunter und stößt einen Schrei aus. Die Frau, die vor ihm auf dem Boden liegt, ist Margaret Woolcott, die Haushälterin von Gregor Phleps. Sie ist blutüberströmt!
    Karl Stielow will ins Haus hineinstürzen, doch obwohl die Tür nicht verschlossen ist, kann er sie nur mit Mühe öffnen. Etwas Schweres leistet von innen Widerstand. Es ist der Leichnam seines Arbeitgebers, und auch er ist blutüberströmt.
    So schnell ihn seine Beine tragen, läuft Stielow zum Sheriff. Er ist vollkommen fassungslos. Unterwegs ruft er immer wieder: »Nein, so etwas aber auch! Nein, so etwas!«
    Der erst kürzlich aus Deutschland eingewanderte Karl Stielow ist ein braver Bursche, wenn auch geistig etwas schwerfällig. Dennoch ahnt er dunkel, daß ihm diese Angelegenheit noch eine Menge Ärger einbringen wird.
    Warum muß ausgerechnet ihm so etwas passieren? Er wollte doch nichts anderes, als sein bescheidenes, ruhiges Leben führen, zusammen mit seiner Frau, die in wenigen Tagen niederkommen wird.
    Gregor Phleps hatte ihm Arbeit gegeben und ihn für vierhundert Dollar im Jahr auf seiner Farm beschäftigt. Jetzt wird er alle möglichen Fragen beantworten müssen, und vielleicht wird man ihn sogar nach Deutschland zurückschicken. Weiter reicht sein Vorstellungsvermögen in dieser Sache nicht, aber Phantasie war auch noch nie seine Stärke.
     
    Auf Karl Stielows lautes Rufen hin erscheint Nelson Barlet, der Sheriff des Bezirks Orleans, auf der Schwelle seines

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