Nächte des Schreckens
Gesetz gilt er als unschuldig... Denn ein zweiter Prozeß in ihrem Bezirk kam für die Leute nicht in Frage! Als es darum ging, zwischen der Gerechtigkeit und der neuen Straße zu wählen, haben die Bewohner von West Selby nicht einen Moment lang gezögert.
D IE K LINIK »UNTER DEN L INDEN«
Von einem luxuriösen Krankenhauszimmer aus sieht man auf einen Park, in dem zahlreiche Linden stehen. Die Atmosphäre wirkt erholsam und elegant zugleich. Wer würde glauben, daß wir uns mitten im Herzen von Frankfurt befinden?
Johann Menzel packt seinen kleinen Koffer aus und entfaltet sorgfältig die darin befindlichen Kleidungsstücke. Menzel ist ein Mann um die Vierzig und alles in allem eine sehr vornehme Erscheinung. Man spürt außerdem, daß er eine gewisse Autorität ausstrahlt, denn als Chef einer bedeutenden Bekleidungsfirma ist er es gewohnt, Anweisungen zu geben. Teresa Menzel hilft ihrem Mann, seine persönlichen Sachen zu verstauen. Sie ist klein, platinblond und äußerst gepflegt. Sie hat ein einnehmendes Lächeln, und in ihrem gutgeschnittenen Kostüm wirkt sie sehr elegant.
Johann Menzel nimmt seinen Klinikaufenthalt sehr gelassen hin. »Solch kurze Ferien außer der Reihe sind keineswegs unangenehm«, meint er zu ihr.
Teresa Menzel wendet sich zu ihrem Mann: »Willst du wirklich nicht, daß ich heute nacht hierbleibe? Die Schwester hat mir gesagt, es wäre ohne weiteres möglich.« Schulterzuckend erwidert Johann: »Wegen einer simplen Blinddarmoperation? Das ist doch eine Routinesache. Du kannst mich morgen besuchen kommen, wenn alles vorbei ist.«
Teresa beharrt nicht darauf. Im Grunde ist sie derselben Ansicht. Sie umarmt ihren Mann zum Abschied und geht. Um nicht allein im Haus bleiben zu müssen, beschließt sie, den Abend und die Nacht dieses 22. Mai 1961 bei ihren Eltern zu verbringen. Natürlich ist ihr klar, daß sie dann zu Hause nicht erreichbar ist, falls die Klinik anruft, aber sie hält das nicht für erforderlich. Sie ist keine sehr ängstliche Natur. Und weshalb sollte sie sich Sorgen machen, wo es doch nur um eine Blinddarmentzündung geht?
Am 23. Mai kehrt Teresa Menzel gegen zehn Uhr morgens nach Hause zurück. Kaum ist sie eingetroffen, klingelt das Telefon.
»Frau Menzel? Hier ist Kommissar Petermann. Bitte kommen Sie sofort zu mir aufs Kommissariat in der Wilhelmstraße. Es geht um Ihren Mann. Er ist hier bei mir. Die Sache ist... sehr ernst.«
Nach dem ersten Überraschungsmoment reagiert Teresa Menzel in der einzig möglichen Weise: »Das kann nicht sein, Herr Kommissar! Es muß sich um eine Verwechslung handeln!«
Doch die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt sehr entschieden: »Es tut mir leid, aber es handelt sich tatsächlich um Ihren Mann. Wir haben seine Papiere in seiner Jacke gefunden.«
Teresa ist fassungslos: »Hören Sie, Herr Kommissar, mein Mann ist gestern operiert worden. Er befindet sich momentan sicherlich im Krankenhaus und liegt im Bett!«
Diese Erklärung scheint den Beamten keineswegs zu verunsichern, ganz im Gegenteil: »Ging es dabei nicht um eine Blinddarmoperation?«
Frau Menzel hat plötzlich das Gefühl, einen Alptraum zu erleben. Sie stammelt nur: » Ja... aber... was ist denn geschehen? Was ist ihm zugestoßen?«
Der Kommissar wartet einen Moment, bis er schließlich mit ernster Stimme erwidert: »Es ist wohl besser, wenn ich es Ihnen gleich sage: Ihr Mann ist tot. Hallo, Frau Menzel? Soll ich einen meiner Leute schicken, um Sie abzuholen?« Doch Teresa flüstert, bevor sie den Hörer auflegt: »Ich komme...«
Kommissar Petermann geht auf Teresa Menzel zu, die sich in ihrem schicken Kostüm bewegt wie eine Schlafwandlerin. »Bitte folgen Sie mir, Frau Menzel. Ich möchte Ihnen helfen und gemeinsam mit Ihnen nach der Lösung des Rätsels suchen. Aber zunächst bin ich verpflichtet, Sie einer sehr schmerzlichen Situation auszusetzen. Fühlen Sie sich dem gewachsen?«
Teresa beißt sich auf die Lippen und nickt stumm. Sie folgt dem Kommissar in eine leere Zelle. Auf der Bank liegt eine Gestalt, die mit einer Decke umhüllt ist. Der Polizeibeamte zieht diese vorsichtig zurück.
Teresa Menzel schlägt die Hände vors Gesicht und stößt einen dumpfen Schrei aus. Ja, das ist tatsächlich ihr Mann. Sein Gesicht ist schrecklich verzerrt, als sei er einem ungeheuerlichen Terror ausgeliefert gewesen. Johann ist vollständig bekleidet. Er trägt den Anzug, den sie am Vorabend selbst in den Schrank gehängt hatte.
»Warum?« stammelt
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