Nächte des Schreckens
anderen! Stellen Sie sich vor, seitdem ich mich hier abgemüht habe, ist keiner auf die Idee gekommen anzuhalten!«
Seltsamerweise reagiert der Fahrer des Lieferwagens nicht auf dieses Kompliment. Auch er ist zirka Mitte Zwanzig. Er hat dunkelbraunes Haar, seine Augen wirken düster, und seine Lippen sind zusammengepreßt. Claire merkt, daß hier irgend etwas nicht stimmt, aber alles geht jetzt sehr schnell, und im nächsten Moment zieht er aus seinem Blouson einen Revolver hervor und richtet den Lauf auf sie. »Steigen Sie in Ihren Wagen, und zwar ein bißchen plötzlich!«
Claire, die noch immer nicht richtig weiß, wie ihr geschieht, bewegt sich mit weichen Knien in Richtung Beifahrersitz, als die harte Stimme des jungen Mannes erneut hinter ihr ertönt: »Nein, Sie übernehmen das Steuer!«
Claire tut, was er sagt, und der Mann setzt sich neben sie. »Fahren Sie los!«
»Wohin?«
»Egal. Immer geradeaus. Ich sage es Ihnen schon...« Während Claire den Wagen lenkt, sucht sie verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Situation. Wenn ihr nur ein Polizeiauto begegnen würde oder ein Motorradfahrer! Trotz des ziemlich dichten Verkehrs stadtauswärts ist jedoch nichts dergleichen zu sehen. Es müßte ihr irgendwie gelingen, die Aufmerksamkeit eines vorbeifahrenden Wagens zu erregen, aber wie? Hupen kommt nicht in Frage, und seitliche Ausweichmanöver ebensowenig. Der Mann neben ihr würde ihr dazu keine Gelegenheit lassen...
Claire fühlt sich immer elender. Als ihr weißer Ford an einem Wäldchen vorbeifährt, ist sie jeden Moment darauf gefaßt, die Stimme ihres Beifahrers zu hören, der ihr befehlen wird, in einen Seitenweg einzubiegen. An einer abgeschiedenen Stelle wird sie dann anhalten müssen, und er wird ihr sagen, sie solle aussteigen, und mit der Waffe in der Hand wird er sie vorangehen lassen, und schließlich...
Claire Astier ist totenbleich geworden. Sie führt den Zeigefinger zum Mund und beginnt, heftig darauf herumzubeißen. Der Mann neben ihr scheint zu begreifen, was in ihr vorgeht, denn er richtet zum erstenmal das Wort an sie: »Regen Sie sich nicht so auf! Ich will Ihnen nichts tun. Ich bin kein verrückter Frauenmörder.«
Claire wirft ihm einen Seitenblick zu. In seinem Gesichtsausdruck liegt eine entschlossene Härte, aber er wirkt keineswegs wie ein Geistesgestörter. Im Gegenteil, er erscheint vollkommen beherrscht und selbstsicher.
»Aber was wollen Sie dann von mir?«
»Ihr Wagen interessiert mich, nicht Ihre Person. Wir werden jetzt noch eine Weile weiterfahren, und dann lasse ich Sie an einem nicht allzu belebten Ort aussteigen, wo Sie nicht so schnell die Polizei benachrichtigen können.«
Claire erwidert nichts, aber innerlich stößt sie einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Nein, es handelt sich tatsächlich nicht um einen verrückten Sadisten, sondern um einen Gangster auf der Flucht. Am liebsten würde sie laut lachen, so erleichtert ist sie! Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen, daß sie einmal derart froh sein würde, einen Gangster in ihrem Wagen zu befördern! Jetzt, da ihre Panik verschwunden ist, verspürt sie unwillkürlich eine gewisse Neugier. Wie sieht so ein Gangster überhaupt aus? Erneut riskiert sie einen Blick zur Seite. Nun, jedenfalls nicht wie die Gangster in den Filmen. Er ist ganz normal gekleidet wie andere Menschen auch.
»Sehen Sie geradeaus und fahren Sie schneller! Sie trödeln. Können Sie nicht Auto fahren?«
Claire tritt kräftig auf das Gaspedal und überholt eine ganze Reihe von Fahrzeugen. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, fragt sie ihn dann: »Was ist Ihnen denn passiert?«
Sie erhält keine Antwort.
»Und wie kommt es, daß Sie ganz allein sind? Für gewöhnlich sind Gangster doch zu mehreren...«
Er antwortet noch immer nicht. Claire insistiert nicht und fährt in zügigem Tempo geradeaus. Von Zeit zu Zeit streift sie den Mann mit einem verstohlenen Blick. Ihr Beifahrer achtet jetzt nicht mehr so sehr auf sie, und allmählich entspannen sich seine Gesichtszüge ein wenig, wirken menschlicher. Und überhaupt, weshalb muß er unbedingt ein Gangster sein? Sie hat ihn so genannt, aber das war vielleicht ungerecht!
Nicht jeder, der vor der Polizei flieht, ist zwangsläufig ein Gangster. Vielleicht hat er aus einem ganz anderen Grunde jemanden umgebracht. Aus Liebe zum Beispiel. Womöglich hat er seine Frau getötet oder den Liebhaber seiner Frau...
Claire ist sicher, daß sie sich nicht täuscht. Ihre
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