Nächte des Schreckens
Gräfin Fosdorf gestohlen: ein Diamantarmband und eine Diamantbrosche, ein brillantbesetzter Ehering...«
Mit weitaufgerissenen Augen stammelt er: »Ja, aber... sind Sie etwa >der Dieb vom dritten Bezirk«
In trockenem Ton erwidert Minna: »Ja, und du tust gut daran, mich sofort loszubinden, wenn du nicht willst, daß die Jungs von meiner Bande dich erwischen!«
Mit verängstigter Miene beeilt er sich, Minnas Anordnung nachzukommen.
»Entschuldigen Sie... Das konnte ich nicht wissen. Sie sind wirklich gerissen, das muß man sagen! Mein Kompliment!« Mühsam reckt die Gräfin die steifen Glieder und massiert sich die Handgelenke, während der Mann sie mit einem Ausdruck stiller Bewunderung betrachtet.
»Sie können wohl nicht zufällig noch jemanden gebrauchen?« will er wissen.
Minna von Kloster deutet mit dem Zeigefinger zur Tür: »Jedenfalls keinen so jämmerlichen Burschen wie dich! Verschwinde!«
Der Mann fügt sich und geht. Die Gräfin hebt das Heft auf, das er fallen gelassen hatte, begibt sich in den Salon und beginnt aufzuschreiben, was ihr soeben Seltsames widerfahren ist.
Der einunddreißigjährige Manfred von Kloster ist der Großneffe der Gräfin, ihr einziger Erbe und das genaue Gegenteil von ihr.
Er bemüht sich nach Kräften, all jene Eigenschaften zu pflegen, die man gemeinhin bei einer Familie des alten Wiener Adels anzutreffen erwartet. Kurz gesagt, ist er ebenso degeneriert wie arrogant, verfügt über glänzende Manieren, aber ist eine durch und durch uninteressante Person.
So gebietet ihm an diesem 18. Oktober 1958 der gebührende Anstand, Trauer zu zeigen, was ihm dank seiner guten Erziehung mühelos gelingt. Am Vorabend hat er erfahren, daß Minna von Kloster ganz unerwartet einem Herzanfall erlegen ist.
Zusammen mit dem Hausmeister des Anwesens führt er jetzt im Salon der Verstorbenen eine gedämpfte Unterhaltung, während diese in ihrem Schlafzimmer aufgebahrt ist. Der Hausmeister ist ein korpulenter kleiner Mann, dem man ansieht, daß er gutes Essen und Trinken schätzt. Mit vertraulicher Miene meint er zu Minnas Großneffen: »Besser, man tritt auf diese Weise von der Bühne ab, nicht wahr? Jedenfalls ist die Frau Gräfin zuletzt noch mal auf ihre Kosten gekommen, das muß man sagen!«
Manfred von Kloster zuckt zusammen.
»Was meinen Sie damit, auf ihre Kosten gekommen?«
»Na ja, wie man das so sagt. Dieser junge Bursche, der sie in den letzten Wochen immer besucht hat... Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
Manfred von Kloster versteht genau, worauf der andere hinauswill. Er stößt ein zutiefst schockiertes »Oh!« hervor. »Gehen Sie!« herrscht er den Hausmeister an.
Dieser entfernt sich schulterzuckend, und Manfred bleibt allein im Salon zurück. Er braucht eine Weile, bis er sich von seiner Entrüstung erholt hat. Seine Tante! Die Witwe des Generals! Eine so bewundernswerte Frau! Aber der Pöbel schreckt ja vor keinerlei Verleumdung zurück!
Was bringt Manfred plötzlich auf die Idee, die schöne alte Suppenterrine zu öffnen, die auf dem kleinen Tisch steht?
Er weiß es selbst nicht, aber die Entdeckung wäre irgendwann ohnehin unvermeidlich gewesen. Den Deckel in der Hand steht er mit offenem Munde da: In der Terrine befinden sich Dutzende von Diamantbroschen, Ohrringe, Ringe und andere Schmuckstücke! Wie in Trance macht er sich daran, die übrigen Gegenstände im Salon zu untersuchen. Als er auf die brillantbesetzten Eheringe stößt, läßt er sich auf das Louis-Seize-Sofa sinken.
Den Erben der Gräfin erwarten jedoch noch mehr Überraschungen. Soeben hat er unter der chinesischen Vase ein Schreibheft erspäht. Er hofft und fürchtet zugleich, darin die Erklärung dieses Geheimnisses zu finden. Mit zitternden Fingern öffnet er es. Das ist tatsächlich die Handschrift seiner Großtante, eine altmodische, sehr schräge Schrift mit kunstvoll ausgeführten Großbuchstaben...
»23. September. Bei der Gräfin Fosdorf gestohlen: eine Diamantbrosche und ein Diamantarmband, ein brillantbesetzter Ehering...«
Schwankend begibt sich Manfred von Kloster in Richtung Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Seine Großtante war keineswegs eine würdelose alte Dame, wie der Hausmeister es vermutet hatte. Die Dinge stehen sehr viel schlimmer, falls das überhaupt noch möglich ist! Der junge Bursche war nicht etwa ihr Liebhaber, sondern ihr Komplize! Sie war es, die sich hinter dem >Dieb aus dem dritten Bezirk< verbarg!
Als Polizeikommissar Schwab ein
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