Nächte des Schreckens
paar Stunden später das Schreibheft der Gräfin in der Hand hält, sieht er genauso fassungslos drein. In dieses Heft hatte Minna von Kloster von Anfang an ganz säuberlich sämtliche Beutezüge eingetragen, die >der Dieb aus dem dritten Bezirk< begangen hatte, und es endete mit dem versuchten Überfall des falschen Gasablesers am Vorabend.
Obwohl die Gräfin sich glänzend aus der Affäre gezogen hatte, war der Schock wahrscheinlich doch zuviel für sie gewesen. Vor den Augen des Kommissars sind nun in lauter kleinen Häufchen all die Schmuckstücke ausgebreitet, die seine Leute in den entlegensten Winkeln der Wohnung aufgespürt haben, und eines ist schöner als das andere. Der Kommissar kommt zu dem logischen Schluß: »Es genügt, den Tod der Gräfin zunächst geheimzuhalten und zu warten. Früher oder später wird ihr Komplize hier auftauchen...«
Und genau das geschah denn auch zwei Tage später. Am 20. Oktober konnte Friedrich Bergen mühelos festgenommen werden, da mehrere Polizeibeamte in der Wohnung der Gräfin auf der Lauer gelegen hatten.
In Handschellen wurde er aus dem Gebäude geführt, in dem man ihn sieben Monate zuvor beinahe schon einmal erwischt hätte. Mit einem traurigen Lächeln verließ er die Wohnung seiner so ungewöhnlichen Komplizin.
Diesmal konnte sie ihn nicht mehr retten.
A UF G EDEIH UND V ERDERB
15. November 1950, sieben Uhr abends. Wütend steigt Claire Astier aus ihrem Wagen. Ihr großer weißer Ford >Vedette< liegt mit schräg geneigter Vorderachse am Straßenrand. Das hat ihr gerade noch gefehlt, daß ausgerechnet jetzt ein Reifen platzt! Es ist bereits dunkel, und außerdem hat es auch noch zu regnen begonnen! Claire Astier öffnet den Kofferraum, um den Reservereifen herauszuholen. Sie hebt ihn hoch. Mein Gott, das Ding wiegt eine Tonne! Schließlich gelingt es ihr jedoch, den Reifen auf den nassen Asphalt zu befördern. Und jetzt fehlt noch der Wagenheber. Wo kann er nur sein?
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, das Werkzeug in der Dunkelheit des Kofferraums zu ertasten, hält Claire entmutigt inne. Von Paris kommend, befindet sie sich jetzt auf der Landstraße gleich nach der Autobahnausfahrt in Richtung Westen. Wie sie im Licht der Scheinwerfer so dasteht, bietet sie wirklich einen mitleiderregenden Anblick. Ihr elegantes beigefarbenes Kostüm ist vom Regen ebenso durchnäßt wie ihr kleiner Hut, den sie, der Mode der fünfziger Jahre entsprechend, schräg aufgesetzt hat. Sie ist eigentlich eine sehr hübsche junge Frau. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren wirkt ihr niedliches kleines Gesicht noch immer sehr jugendlich. Außerdem kleidet sie sich äußerst geschmackvoll, was ihr nicht sonderlich schwer fällt, denn Claire besitzt auf den Champs-Elysees ein Geschäft für Damenmoden.
Ein Lastwagen nähert sich. Claire macht dem Fahrer gegenüber eine hilflose Geste, doch diesem fällt es nicht ein, anzuhalten. Beim nächsten Lastwagen geht es ihr ebenso und auch bei all den anderen Autos, die einfach an ihr vorbeifahren.
Da, endlich hat sie den Wagenheber gefunden! Mit dem Werkzeug in der Hand kniet sie sich hin und flucht dabei kräftig auf die vielgelobte Galanterie der französischen Männer, die auch nicht mehr das zu sein scheint, was sie einmal war.
Sie hat große Lust, auf diesen Wochenendausflug nun ganz zu verzichten!
Einmal im Monat fährt Claire nämlich zu ihren Eltern, die in Etretat wohnen, doch wäre sie froh, wenn sie von dieser Verpflichtung befreit würde. Ihre Eltern sind beide sehr alt und verstehen einfach nicht, wie eine junge Frau von fünfundzwanzig ganz allein in Paris leben kann. Immer wieder hat sie ihnen erklärt, daß sie sich so sehr wohl fühlt und daß sie noch nicht die geringste Lust verspürt zu heiraten, aber die beiden wollen das nicht einsehen.
Claire dreht an der Kurbel des Wagenhebers. Um so besser, wenn niemand anhält! Sie braucht keine Hilfe mehr, und schon gar nicht die eines Mannes. Sie ist jung, finanziell unabhängig und ohne gefühlsmäßige Bindungen: Damit ist sie vollkommen zufrieden! Zehn Minuten vergehen, die ihr wie eine Stunde oder noch länger vorkommen. Der Reservereifen sitzt bereits an seinem Platz, als ein Wagen neben ihr hält, genauer gesagt, ein kleiner Lieferwagen. Ein junger Mann steigt aus. Claire geht auf ihn zu, um ihm für seine Freundlichkeit zu danken, auch wenn diese jetzt zu spät kommt.
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber es ist nicht mehr nötig. Sie sind wenigstens nicht wie die
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