Nächte des Schreckens
ist Stewardeß und wird ihren Monat Ferien wie gewöhnlich im Schoß der Familie verbringen.
Clément zwinkert unwillkürlich mit den Augen, als die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens ihn blenden.
Clément wirkt schon auf den ersten Blick wie eine bedeutende Persönlichkeit. Er ist fünfundfünfzig Jahre alt, athletisch gebaut und bereits grauhaarig. Außerdem wurde er als gefeierter Widerstandskämpfer mit zahlreichen Auszeichnungen geschmückt.
Sein Restaurant, das selbst in einer gastronomisch so entwickelten Gegend wie dieser ein ganz besonderes Renommé genießt, beschert ihm ein beträchtliches Einkommen. Den Höhepunkt seines gesellschaftlichen Aufstiegs bildete dann vor einigen Jahren seine Wahl zum Bürgermeister von Longpré, und dieses Amt bedeutet Pierre Clément mindestens ebensoviel wie sein Erfolg als Restaurantbesitzer. Für einen Mann wie Clément ist Macht im Grunde wichtiger als Geld.
Seine Tochter Virginie sitzt jetzt ganz entspannt neben ihm und raucht eine Zigarette. Wenn gutes Aussehen eine Voraussetzung für den Beruf einer Stewardeß ist, so hätte man es in ihrem Fall nicht besser treffen können. Sie ist fünfundzwanzig, groß, blond und sehr schlank und scheint direkt einer Hochglanzzeitschrift entstiegen zu sein.
Ganz offensichtlich weiß sie genau, was sie will. Darin ist sie ihrem Vater sehr ähnlich. Sie hat dieselbe resolute Art und kann in manchen Momenten etwas hart wirken.
Virginie und Pierre Clément sind also aus demselben Holz geschnitzt. Das wissen beide, und darauf sind sie auch stolz, obwohl sie sich aufgrund ihres gemeinsamen Charakters öfter streiten.
Pierre Clément hat seine Tochter praktisch allein großgezogen, denn seine Frau starb, als die Kleine erst drei Jahre alt war. Um Virginie mit niemandem teilen zu müssen, hat er nicht wieder geheiratet.
»Wirst du noch lange Stewardeß bleiben?« fragt er sie jetzt. »Du weißt genau, daß mein Vertrag erst in fünf Jahren ausläuft.«
»Und hinterher?«
»Was hinterher kommt, wird man sehen. Aber ich gehe nicht ins Restaurant.«
»Der Platz für dich ist dort schon bereit, und du weißt selbst, daß du das Zeug dazu hättest!«
»Papa, hör endlich damit auf! Ich habe ein für allemal nein gesagt.«
»Und was soll werden, wenn ich tot bin? Irgend etwas wirst du dann mit meinem Restaurant anfangen müssen.«
»Ja, natürlich. Dann verkaufe ich es.«
»Dickschädel!«
Schweigen breitet sich in der luxuriösen Limousine aus. Wütend gibt Pierre Clément Gas, und die kurvenreiche Strecke fliegt nur so an ihnen vorbei. Longpré ist nicht mehr weit, und da geschieht es auf einmal: Am Auslauf einer Kurve taucht unvermittelt ein Radfahrer ohne Licht vor ihnen auf, der sich nicht rechts hält, sondern mitten auf der Straße fährt.
Clément tritt verzweifelt auf die Bremse, doch es ist zu spät. Es gibt einen schrecklichen Zusammenprall, und gleich darauf hört man, wie der Radfahrer zu Boden stürzt. Der Citroën hat sich bei der Notbremsung einmal um die eigene Achse gedreht.
Virginie ist bereits aus dem Wagen gesprungen und läuft zur Unglücksstelle. Sie verliert keinen Moment die Beherrschung, zumal sie als Stewardeß genau weiß, wie man sich bei einem Unfall verhalten muß.
Sie steuert auf den Straßengraben zu, wo das verunglückte Fahrrad liegt. Einer der Reifen dreht sich noch immer. Der Motor des Wagens heult noch einmal auf, und dann wird die Szenerie vom brutalen Licht der Scheinwerferkegel angestrahlt.
Virginie beugt sich hinunter. Nein, sie braucht ihre Kenntnisse in Erster Hilfe nicht mehr anzuwenden. Der Mann ist tot. Sein Schädel ist vollkommen zerschmettert.
Jetzt kommt Pierre Clément hinzu und bleibt gleich darauf reglos stehen.
»Mein Gott!« entfährt es ihm.
Virginie steht auf.
»Kanntest du ihn?«
»Ja. Es ist Bourget. Ein braver Bursche. Er war seit zwei Jahren als Mechaniker in der Garage von Longpré beschäftigt... Hör zu, Virginie: Du hast genau gesehen, daß er ohne Licht mitten auf der Straße fuhr. Ich konnte ihm nicht ausweichen!«
»Hatte er Familie?«
»Ja, eine Frau und ein kleines Kind. Die Ärmsten!« Schweigend gehen Vater und Tochter zum Auto zurück und machen sich wieder auf den Weg nach Longpré. Niemand ist unterdessen vorbeigekommen.
Virginie zieht nervös an ihrer Zigarette und erklärt dann: »Ich werde der Polizei sagen, daß es nicht deine Schuld war.«
Pierre Clément zuckt am Steuer seines Wagens heftig zusammen. »Wieso der Polizei? Was
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