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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Ich bin nichts anderes mehr als ein Schuldiger, der das Schicksal erwartet, das er verdient.«
    Kopfschüttelnd erwidert Rollin: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Dann sagen Sie besser nichts. Ich werde es Ihnen erklären.
    Ich habe bis jetzt aus Egoismus geschwiegen, und ich glaube auch, daß ich nicht zur Rechenschaft gezogen worden wäre, wenn ich weiterhin geschwiegen hätte. Oder hätten Sie die Kühnheit besessen, den Wagen in meiner Garage zu untersuchen?«
    »Nein, bestimmt nicht. Also, warum haben Sie jetzt...?«
    »Ich stand vor der Wahl, ob ich mich für mein Amt und für mein Restaurant entscheiden sollte oder für meine Tochter. Ich habe mich für sie entschieden.«
     
    15. Juli 1974, genau ein Jahr nach dem tragischen Unfall, den Pierre Clément verschuldet hat.
    Wie er angekündigt hatte, legte er sein Amt als Bürgermeister nieder. Doch entgegen seinen Befürchtungen wurde sein Restaurant daraufhin keineswegs gemieden. Nachdem die Leute erfuhren, wie sich die Dinge in Wirklichkeit zugetragen hatten, wußten sie die Situation richtig zu beurteilen.
    Der Radfahrer war eindeutig selbst dafür verantwortlich gewesen, und eine solche Geschichte hätte jedem anderen ebenso passieren können. Zu diesem Schluß kam auch das Gericht, das Pierre Clément lediglich zu drei Monaten Führerscheinentzug auf Bewährung verurteilte.
    Als Pierre Clément heute seine Tochter Virginie wieder am Flughafen von Lyon abholen fährt, empfindet er ein gewisses Unbehagen. Wie sollte er auch den Gedanken an das, was vor einem Jahr geschehen ist, verdrängen können? Zugleich ist er aber auch sehr froh, daß er seine Tochter jetzt wieder für einen Monat bei sich haben wird. Denn als er sich der Polizei gestellt hatte, fuhr Virginie nicht zurück. Ganz im Gegenteil: Während der schwierigen Zeit, die er danach durchmachte, hielt sie fest zu ihm. Niemals zuvor waren sie einander so nahe gewesen wie damals, und an ihrer innigen Beziehung hat sich nicht das geringste geändert. Und als die beiden wenig später in gemächlichem Tempo den Rückweg nach Longpré antreten, kommt es erneut zu der ewig wiederkehrenden Unterhaltung zwischen ihnen: »Sag mal, wie lange wirst du noch Stewardeß bleiben?«
    »Das weißt du genau. Ich habe noch vier Jahre zu fliegen.«
    »Und hinterher?«
    »Was hinterher kommt, wird man sehen. Aber ich gehe nicht zu dir ins Restaurant.«
    »Dickschädel!«
     

E IN JUNGER M ANN WIRD STERBEN
     
    Der Herr Abbé Puget, Priester in der Pfarrei Saint-Antoine in der Stadt Nantes, ist an diesem Abend des 28. Mai 1944 früh zu Bett gegangen und sofort eingeschlafen. In diesen Kriegszeiten ist das Leben für die Menschen sehr hart. Trotz seiner siebzig Jahre gönnt sich der Abb6 Puget keine Schonung, wenn es gilt, materielle Sorgen zu lindern und seelischen Beistand zu leisten.
    In den Straßen des ihm anvertrauten Bezirks trifft man die magere Gestalt des Pfarrers in der abgetragenen Soutane daher sehr häufig an.
    Plötzlich wird der Geistliche aus seinem Schlummer gerissen. Im Nebenzimmer, das ihm als Büro dient, hat soeben das Telefon geklingelt. Er schaltet die Nachttischlampe an und blickt auf seinen Wecker: Es ist zehn Minuten nach Mitternacht. Um diese Zeit kann es sich nur um einen Notfall handeln. Der Abbé steht auf und sucht nach seinen Pantoffeln. Obwohl es bereits Frühling ist, trägt er ein Nachthemd aus dickem Flanell und eine baumwollene Nachtmütze.
    Hastig begibt er sich nach nebenan, wobei er schmerzerfüllt das Gesicht verzieht, weil ihn sein Rheumatismus plagt. Dann nimmt er den Hörer ab.
    Die Stimme einer älteren Frau ertönt: »Bin ich mit der Pfarrei verbunden?«
    »Ja, Madame.«
    »Ich bin nicht verheiratet, Herr Pfarrer, Sie müssen sofort in die Rue Descartes Nummer 16 kommen... mit den Sakramenten. Dort liegt ein junger Mann im Sterben.«
    Der Priester notiert sich das, so gut es in der Dunkelheit möglich ist.
    »Sagen Sie mir noch Ihren Namen, Mademoiselle.«
    »Mademoiselle Chauvy. Aber ich befinde mich nicht in der Rue Descartes. Ich selbst wohne in der Rue de Bretagne Nummer 3. Sie können die Adresse des jungen Mannes nicht verfehlen, Herr Pfarrer. Es ist ein frei stehendes kleines Haus, und er ist ganz allein.«
    »Aber Mademoiselle...«
    »Ich muß jetzt auflegen. Ich bitte Sie, Herr Pfarrer, machen Sie schnell, um Gottes willen!«
    Und dann wird am anderen Ende tatsächlich aufgelegt. Der Herr Abbé schaltet in seinem Büro das Licht an und starrt verwirrt auf

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