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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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das Blatt Papier, auf dem er ganz mechanisch die beiden Adressen sowie den Namen der Anruferin notiert hat.
    Was hat das zu bedeuten? Wer ist dieses alte Fräulein, und was hat sie mit diesem jungen Mann zu tun? Wenn er im Sterben liegt, warum ist sie dann nicht bei ihm, statt sich zu Hause, in einem ganz anderen Stadtviertel, aufzuhalten? Außerdem hat sie ihm nicht einmal den Namen des Sterbenden genannt. Gewiß, dieser befindet sich allein in seinem Häuschen, und er wird ihn nicht verfehlen können, aber die Sache ist dennoch äußerst merkwürdig!
    Der Geistliche kehrt ins Schlafzimmer zurück. Sein Entschluß steht fest. Er hat kein Recht, all diese Fragen zu stellen. Wenn es darum geht, eine Seele zu retten, darf er keine Zeit verlieren. Kurz darauf steuert der Abbé Puget sein Fahrrad durch die verdunkelten Straßen von Nantes. Auf dem Gepäckträger befördert er in einem zerbeulten kleinen Pappkoffer die heiligen Sakramente, und natürlich hat er auch seinen Sonderausweis dabei, der ihn ermächtigt, trotz der nächtlichen Ausgangssperre das Haus zu verlassen.
    Inzwischen ist es fast halb eins. Die Nummer 16 in der Rue Descartes ist tatsächlich ein frei stehendes kleines Haus. Zu seiner Überraschung sieht der Pfarrer dort von weitem keinerlei Licht. Es müßte doch ein Arzt zugegen sein und irgendwelche Angehörige. Wie kann es im Haus eines Menschen, der im Sterben liegt, derart dunkel sein? Dem Abbé wird die Sache jedenfalls immer unheimlicher.
    Er tritt durch die Gartenpforte, die nicht verschlossen ist. Dann stellt er sein Fahrrad an der Hauswand ab, nimmt den Pappkoffer und läutet.
    Es handelt sich nicht um eine elektrische Klingel, sondern um eine einfache Glocke, die durch einen Kettenzug betätigt wird. Sie erzeugt im Inneren des Hauses einen düsteren Ton, doch ansonsten ist dort alles vollkommen ruhig. Jetzt läutet der Pfarrer Sturm, und endlich erfolgt eine Reaktion. Er hört eilige Schritte und schließlich eine aufgeregte Männerstimme.
    »Ich komme, ich komme!« ruft die Stimme.
    Die Beklommenheit des Pfarrers wächst. Die Stimme, die da soeben ertönte, ist keineswegs die eines Todgeweihten. Die Tür öffnet sich, und ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig steht auf der Schwelle. Er hat zerzaustes Haar, und man sieht, daß er sich hastig einen Schlafrock über den Pyjama geworfen hat.
    Er bleibt einen Moment lang mit offenem Mund so stehen und fragt dann in einem Ton fassungslosen Staunens: »Ein Priester! Aber was soll das denn bedeuten?«
    Der Abbé Puget kommt sofort zur Sache: »Nun, ich bringe die Sakramente... für die Letzte Ölung.«
    »Die Sakramente?«
    »Ich bin hier doch richtig, in der Rue Descartes Nummer 16, oder?«
    »Ja, aber ich verstehe noch immer nicht.«
    »Gibt es hier denn keinen Kranken im Haus?«
    »Nein. Ich lebe ganz allein.«
    »Entschuldigen Sie, aber wurden Sie nicht vielleicht kürzlich von einem Unwohlsein befallen, oder haben Sie sonstige Krankheitssymptome, die vermuten lassen könnten, daß...«
    »Keineswegs. Das ist vollkommen lächerlich! Mir geht es
    prächtig! Wollen Sie mir nicht endlich verraten, was dieser Unfug soll?«
    Der Geistliche stößt einen tiefen Seufzer aus.
    »Ich fürchte inzwischen ebenfalls, daß es sich um einen Unfug handelt! Gestatten Sie, daß ich einen Moment hereinkomme?«
    »Aber natürlich. Ich lege auf eine Erklärung großen Wert!« Und der junge Mann läßt den Pfarrer eintreten.
    Ganz offensichtlich hat der Bewohner dieses Hauses mit der Kirche nicht viel im Sinn. Er führt den Abbé nicht in den Salon, sondern bleibt mit ihm im Flur stehen.
    »Nun?« fragt er.
    Der Abbé Puget berichtet in wenigen Sätzen von dem seltsamen Telefonanruf. Während er spricht, werden die Augen seines Gegenübers immer größer. Schließlich meint er kopfschüttelnd: »Mademoiselle Chauvy? Aber ich kenne niemanden dieses Namens.«
    »Und dennoch muß es jemanden geben, der einen Groll gegen Sie hegt und nicht davor zurückgeschreckt hat, Ihnen diesen üblen Streich zu spielen.«
    »Das ist in der Tat eine sehr unangenehme Geschichte! Um so etwas zu tun, muß man jemanden wirklich hassen.«
    »Überlegen Sie bitte genau... Es war die Stimme einer betagten Person. Haben Sie keine Ahnung, wer es sein könnte? Eine Tante vielleicht oder eine Bekannte Ihrer Eltern?« Zum erstenmal malt sich in den Zügen des jungen Mannes so etwas wie Furcht.
    »Schweigen Sie!« fährt er den Pfarrer an. »Ich weiß nicht warum, aber diese alte Frau läßt

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